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Römische Notizen: Neues aus der vatikanischen Trutzburg

Unlängst hatte ich die Gelegenheit mit der frisch gewählten Diözesanvorsitzenden aus Münster ein Interview zu führen. Eine aufgeschlossene, junge Frau, lange schon im kirchlichen Umfeld engagiert, inzwischen auch hauptberuflich dort verortet. Kurz zusammengefasst lautet ihr Statement: Wir müssen uns alle in Kirche auf den Weg machen, in verschiedenen Formen und Aktionsformaten, um als Graswurzelbewegung zu wachsen. Nur dann besteht Aussicht darauf, gehört und erhört zu werden.

Dieser Tage hat Franziskus an die deutschen Bischöfe einen Brief geschickt. Eine derartige Post vom Papst kommt nicht allzu oft, zumeist dann, wenn etwas Besonderes anliegt oder grundsätzliche Kritik zu Gehör gebracht werden soll. So liegt das letzte apostolische Schreiben an Deutschland um die fünfzig Jahre zurück. Ein Grund sich zu freuen oder auch zu wundern. Anknüpfungspunkt ist der von den deutschen Bischöfen bei ihrer letzten Frühjahrsversammlung im März 2019 beschlossene „synodale Weg“ zu den Themen Sexualmoral und Zölibat. In enger Abstimmung mit dem ZdK werden derzeit Positionspapiere zu den Foren „Sexualmoral“ (Bischof Franz-Josef Bode, Osnabrück) und „Priesterliche Lebensform“ (Bischof Felix Genn, Münster) erarbeitet. Ein Zwischenbericht ist für etwa Mitte September angekündigt.

Am Samstag hat der Vatikan nun das angesprochene Apostolische Schreiben (http://w2.vatican.va/content/francesco/de/letters/2019/documents/papa-francesco_20190629_lettera-fedeligermania.html) veröffentlicht. Auf 19 Seiten nimmt der Heilige Vater zu Entwicklungen Stellung, die bei uns schon lange diskutiert werden. Einerseits stimmt Franziskus mit der deutschen Sichtweise diverser Problemlagen überein (Erosion des Nachwuchses, Vergrößerung der Pfarreien, Rückgang der Gottesdienstbesucher wie auch der Austeilung der Sakramente). Er spricht deutlich von einer „Zeitenwende“, die uns alle erfasst habe. Neue und alte Fragen müssten besprochen werden. Andererseits sind diese „Allgemeinplätze“ gerade nicht das, was sich die Gläubigen und die an der Kirche Interessierten erwartet hätten von so einem Schreiben. Die Unverbindlichkeit zu Themen wie Zölibat, Sexualmoral, sexueller Missbrauch oder auch Machtmissbrauch (Stichwort: Klerikalismus) ist für so ein Schreiben doch verstörend. Bei allem Verständnis (?) auf Seiten des Heiligen Vaters, mahnt er doch seine Gedanken zur Synodalität als Richtschnur zu befolgen:

„Anlässlich der letzten Vollversammlung der italienischen Bischöfe hatte ich die Gelegenheit, diese für das Leben der Kirche zentrale Wirklichkeit nochmals in Erinnerung zu rufen, indem ich die doppelte Perspektive, die sie verfolgt, einbrachte: ‚Synodalität von unten nach oben, das bedeutet die Pflicht, für die Existenz und die ordnungsgemäßen Funktionsvorgänge der Diözese, der Räte, der Pfarrgemeinden, für die Beteiligung der Laien Sorge zu tragen… (vgl. cann. 469-494 CIC), angefangen bei der Diözese. So ist es nicht möglich eine große Synode zu halten, ohne die Basis in Betracht zu ziehen… Dann erst kommt die Synodalität von oben nach unten‘, die es erlaubt, in spezifischer und besonderer Weise die kollegiale Dimension des bischöflichen Dienstes und des Kirche-Seins zu leben. Nur so gelangen wir in Fragen, die für den Glauben und das Leben der Kirche wesentlich sind, zu reifen Entscheidungen. Möglich sein wird das unter der Bedingung, dass wir uns auf den Weg machen, gerüstet mit Geduld und der demütigen und gesunden Überzeugung, dass es uns niemals gelingen wird, alle Fragen und Probleme gleichzeitig lösen zu können.“

Heißt das also: Keine schnellen Reformen, keine unüberlegten (?) Einschnitte, überhaupt, Zeit scheint ein kostbares Gut im Sinne des „aggionamento“, sprich die Ausdeutung tradierter Vorstellung auf heutige Verhältnisse. Stattdessen sei die Evangelisierung Hauptaufgabe aller Glieder der Kirche. Demgegenüber müsse eine Reform, gleich welcher Kategorie, insoweit zurückstehen, als sie die notwendige Zeit erhalte, um wachsen zu können. Gerade bei grundsätzlichen Korrekturen sei immer auch das Prinzip der Universalkirche zu bedenken. Franziskus: „Daher erscheint es mir wichtig, das nicht aus den Augen zu verlieren, was ‚die Kirche wiederholt gelehrt hat, dass wir nicht durch unsere Werke oder unsere Anstrengungen gerechtfertigt werden, sondern durch die Gnade des Herrn, der die Initiative ergreift‘. Ohne diese Dimension der göttlichen Tugenden laufen wir Gefahr, in den verschiedenen Erneuerungsbestrebungen das zu wiederholen, was heute die kirchliche Gemeinschaft daran hindert, die barmherzige Liebe Gottes zu verkündigen. Die Art und Weise der Annahme der derzeitigen Situation wird bestimmend sein für die Früchte, die sich daraus entwickeln werden. Darum appelliere ich, dass dies im Ton der göttlichen Tugenden geschehen soll.“

Deshalb solle die Gemeinschaft im „sensus ecclesiae“ unter Leitung des Heiligen Geistes genau in Kirche und Zeit hineinhorchen, um zu einer angemessenen Reaktion auf die Probleme und Anforderungen im Heute und Morgen zu gelangen.

Leider ist das für die Praxis der Gläubigen nur schwer zu übersetzen, würde man sich doch zumindest ein paar Pflöcke vom Heiligen Vater gesetzt wünschen. Und sei es, wie vor einigen Tagen der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf in Bistumsstellungnahme (siehe „Kirche & Leben“ v. 11.06.19) äußerte, dass diese Fragen wohl nur (insbesondere das Frauenpriestertum) von einem „Konzil der Weltkirche“ neu ausgedeutet werden könnte. Die abschließende Regelung durch Johannes Paul II binde auch Franziskus.

Die Reaktionen auf das Schreiben sind gemischt. Kritiker wie Befürworter des „synodalen Weges“ sehen sich bestätigt. Für den gemeinen Gläubigen ist nichts gewonnen. Weder die Gewissheit, dass etwas substanziell in Bewegung käme auf dem Traumschiff Kirche, noch dass Perspektiven für eine Kirche im 21. Jahrhundert mit ihrem Bindungs- und Glaubwürdigkeitsverlust aufscheinten.

Doch sicher, es gibt auch immer etwas Tröstendes: Wir alle, die wir interessiert und engagiert für Kirche und Gesellschaft sind, haben es ein Stückweit in der Hand, unser inneres Feuer für die Kirche weiter brennen zu halten und daraus die Kraft zu schöpfen, nicht nachzulassen mit allen Anliegen, um eine lebendige Kirche und eine gute Orientierung auf unserem Weg und dem unserer Kinder zu erhalten. Unermüdlich! Es wird sich lohnen.

Mit den besten Wünschen für Sie, herzlich Ihr
IML Juli 2019