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Via Conci
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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Blicksplitter – Papst em. Benedikt XVI und die theologische Diskussion zum Kindesmissbrauch

Seit Papst Franziskus als amtierendes Oberhaupt der katholischen Kirche wirkt, hält sich Benedikt als sein Vorgänger mit öffentlichen, zumal heiklen (theologischen) Themen durchaus zurück. Es dominieren vielmehr freundliche Bilder der Begegnungen beider Päpste. Das ist für sich genommen und schon besonders in der Kirchengeschichte eine lobenswerte und erfreuliche Entwicklung.

Hin und wieder werden auch strahlende Bilder heimgesucht, es entsteht Trübnis und in den Firnis dringt Patina. Was also trübt hier den Blick? In einem etwa fünfzehn Seiten langen Schreiben für das „Klerusblatt“ (April 2019), die Verbandszeitschrift bayerischer Geistlicher. Im Zeichen schweren Sturms über der katholischen Kirche in Sachen Missbrauch, sexuellem zumal, schickt Benedikt sich an den Blick auf die ungeheuerlichen und immer noch nicht aufgearbeiteten, oder abgestellten Schandtaten zu trüben.

Vorweg gleich eines: ich schätze Benedikt als (erz)konservativen Denke sehr, seine „Einführung ins Christentum“ ist Standardlektüre im Seminar, noch heute überaus lesenswert, wie auch viele seiner bei Herder Ludwig Kardinal Müller herausgegebenen gesammelten Werke. Sie stehen bei mir in der Bibliothek Seite an Seite mit den Werken Hans Küngs, so viel sie auch trennen, beim zweiten Vatikanum waren sie noch mit einer ähnlichen Perspektive ausgestattet. So ist bedrückend zu lesen, was Benedikt zum Thema Missbrauch äußert.

Liegt der Keim dieser monströsen Entwicklung in der europäischen Gesellschaftsentwicklung der 68er? Benedikt macht die „Gottvergessenheit“ der Gesellschaften dafür verantwortlich. Wie meint er das? Mit einer erschreckenden und kaum überbietbaren Vereinfachung, die dazu noch eine Verkürzung in sich trägt: in den 20 Jahren von 1960 bis 1980 sei der Maßstab für Sexualität vollkommen weggebrochen und in Normlosigkeit gemündet. Selbst Pädophilie sei als erlaubt und angemessen beurteilt worden. Leider lässt sich dem nicht ganz widersprechen, selbst die deutschen Grünen haben noch in den achtziger Jahren mit diesen Dämonen zu kämpfen gehabt, bis eine interne Kommission die Fälle nach 2013 aufarbeitete. Daraus zu schließen, dass generell linksalternative Politik- und Gesellschaftsentwürfe Pädophilie begrüßt, praktiziert und sanktioniert hätten, ist hanebüchen. Es ist vielmehr ein Blick zurück im Zorn, wie ihn Thomas Sternberg, der Präsident des ZDK auf Domradio, beschreibt. Die „Gottvergessenheit“, mit der Benedikt die Missbrauchsfälle in Verbindung bringt, gilt eben auch für Kirche selbst. Sternberg hält dem entgegen, dass der Zusammenbruch der kirchlichen Morallehre im Zusammenhang mit dem Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung von 1968 in eins falle. Denn die Abkehr der Menschen von den rigiden kirchlichen Moralvorstellungen, brachte für die Menschen einen neuen Aufbruch in ein auch sexuell selbstbestimmtes Leben, eines in Fülle, zu der selbstverständlich auch die Sexualität gehört.

Dass sich Benedikt eine Erneuerung des Glaubens wünscht ist verständlich und sicher auch notwendig – von uns allen. Jedoch geht sein Ansatz fehl, wenn er etwa ignoriert, dass der Ausbruch der Missbrauchskrise Ende der Achtziger Jahre, in der er als Erzbischof von München-Freising auch mit Tätern und Vertuschern umging, keine systemischen Ursachen hat. Und die sind bis heute nicht geändert. Wenn Benedikt dann davon spricht, dass gerade auch im Zusammenhang von Missbrauch um Vergebung zu bitten sei, liest man dies zustimmend. Doch gemeint ist die Vergebung Gottes und nicht die Schuld des Täters (hier an einer jungen Frau), die es zu sühnen gilt, zunächst dem Opfer und dann Gott gegenüber.

„Si tacuisses“, dankt sich mancher Leser und schüttelt den Kopf. Das selbstgewählte Schweigegebot Benedikts wäre an dieser Stelle sicherlich zielführender gewesen. Aber es gibt eben auch Theologen und Priester zumal, die genau diese Sicht der Dinge unterstützen und befürworten würden.

Ich denke, da sollen sich alle besser an die eigene Nase fassen, da ist man näher bei sich selbst. Da könnte die Prüfung schon beginnen. So lässt uns hoffen, dass alle Kräfte, die die Kirche begleiten, sie so ausrüsten, dass wir dereinst sagen können: es war ein lange, schwieriger Weg, wir sind ihn gegangen, es hat sich gelohnt. Darin würde eine grundlegende Erneuerung des Glaubens liegen. Und das guten Gewissens.

Eine gute Osterzeit wünscht Ihnen,

Ingo-Maria Langen