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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Papst

„Wahrheit ist, keine Angst zu haben!“

Haben Sie Papst Franziskus schon mal lachen sehen? Ja, mögen manche jetzt denken, ich gehöre nicht dazu. Leider! Aber: in dem nachfolgend geschilderten Interview mit Giovanni di Lorenzo in der ZEIT vom 9. März 2017 lacht er ganze zwölf Mal. Er begegnet uns in diesem Gespräch sehr offen, nahbar, wie der Papst „von nebenan“ – wenn Sie mir dieses freimütige Bild gestatten.

Papst Franziskus gibt Einblicke in sein Denken und die kirchenpolitischen bzw. theologischen Reformen unter seinem Pontifikat. Dabei sind auch sehr ernste Themen, aber nie beschleicht den Leser das Gefühl, Franziskus spräche hier „ex cathedra“, würde gar belehren. Diese Normalität ist so entwaffnend, dass ich mich dabei ertappte, verschiedentlich mitlachen zu wollen. Bereits zu Beginn, wenn er lachend ein Stereotyp bedient: „Typisch Journalisten.“ Dann erzählt er eine Geschichte über das Bild „Maria Knotenlöserin“ von Johann Georg Melchior Schmidtner und wie die Knoten einer Ehe durch das Gebet an Maria als Knotenlöserin in der Gnade des sich Wiederfindens der Eheleute mündete. Das Bild war der Dank für die Gnade…

Knoten gibt es auch heute viele: einer davon ist der massive Rückgang im Priesternachwuchs. Franziskus leitet seine Bemerkungen dazu mit einem Lachen ein: „Ich glaube – Sie merken, ich spreche als bekennender Katholik, ich bin übrigens auch gläubig, wissen Sie?“ Papst Franziskus sieht einen Grund für den Mangel an priesterlichem Nachwuchs in dem Umstand, dass mit den jungen Menschen zu wenig „gearbeitet“ wird. Es gibt keinen Dienst an ihnen. Deshalb sind sie die Verlierer. Das schlägt sich im Weltlichen in der Arbeits- und Perspektivlosigkeit für die Jungen nieder, wie auch im Kirchlichen. Wo niedrige Geburtenraten keinen gesellschaftlichen Unterbau erzeugen, bleibt auch die Berufung aus. Denn Priester wird man aus Berufung. Eine Kirche, die keine Eucharistie feiern kann, ist eine kraftlose Kirche und sie kann der Gemeinde nicht das geben, was notwendig ist. An dieser Stelle ist die Frage nach dem freiwilligen Zölibat schnell zur Hand, aber das ist aus der Sicht des Papstes nicht die Lösung. Eher schon ließe sich über die „viri probati“, also die „bewährten Männer“ sprechen. Die sind zwar verheiratet, leben aber nach Maßstäben der katholischen Kirche ein vorbildliches Leben. – Gleichwohl bleibt auch Franziskus beim Thema Zölibat standhaft: es sei die Berufung, die einen jungen Mann zum Priester werden lasse, und die ist innerlich verbunden mit Keuschheitsversprechen, weshalb ein freiwilliges Zölibat nicht die Lösung sein könne. Wohl aber könne man darüber nachdenken, ob nicht Diakoninnen eingesetzt werden sollten? Dazu wäre eine Studienkommission zielführend, die das Thema beraten und Vorschläge unterbreiten soll. Bislang werden Überlegungen diskutiert wie die Hilfe von Diakoninnen bei der Taufe oder bei häuslicher Gewalt.

In diesem Zusammenhang (es soll geweihte Frauen in der alten Kirche gegeben haben), verweist Franziskus darauf, dass eine wichtige Aufgabe der Theologie darin bestehe, zu forschen. Man müsse den Dingen immer auf den Grund gehen: „Das gilt auch für das Studium der Heiligen Schrift. Die historisch-kritische Methode: Was hat das in jener Zeit bedeutet? Was heißt es heute? Wahrheit ist, keine Angst zu haben. Das sagt uns die historische Wahrheit, die wissenschaftliche Wahrheit: habt keine Angst! Das macht uns frei. (…) Ängste schließen Türen. Die Freiheit öffnet sie. Und wenn die Freiheit klein ist, öffnet sich immerhin ein Fensterchen.“ [lacht]

Das gilt auch für ein oft tabuisiertes Thema: die persönliche Glaubenskrise. Auch Priester erleben diese und müssen daran wachsen. Franziskus bringt dazu das Petrus-Beispiel, der Christus dreimal verleugnete, obwohl er zuvor behauptete, fest an seiner Seite zu stehen. Doch Christus wusste es besser und das sollte uns mahnen, nicht zu fest in unseren Überzeugungen zu wurzeln, sie sind zerbrechlicher als wir wahrhaben wollen. Und so ist der Zweifel nicht der Feind des Glaubens – was uns die Fundamentalisten weismachen wollen – sondern er wird zur Quelle für die Erneuerung, wenn wir an ihm und mit der Krise wachsen, die er auslöst. Ohne Krise kein Wachstum. Franziskus bekennt sich selbst zu solchen Momenten: „Ich kenne auch die leeren Momente. (…) Der Glaube ist ein Geschenk, er wird einem gegeben.“ Darum müssen wir bitten, dann wird er uns geschenkt: als Licht, als Kraft, als Freude, Überzeugung. Dieses Bitten ist eine tägliche Übung, ein tägliches Überwinden unseres Kleinmutes, unseres Zögerns und Handelns gegen unsere eigene Überzeugung. Das sind die Momente der Leere. Dann fallen wir in die Versuchung und wenden uns ab von Gott, vom Glauben. Unsere Güte, die uns stark und lebendig, sozial macht, wird zur verwundeten Güte.

Denkt man an den Sündenfall Adams, dann ist es diese Schwäche, die ihn zur Sünde führt. Im Gegensatz dazu ist der Sohn Adams, Kain, von Schlechtigkeit getrieben: Eifersucht, Herrschsucht und Neid beherrschen ihn, woraus seine Tat entsteht. „Das ist – so Franziskus – die Schlechtigkeit des Krieges, der wir bei all jenen begegnen, die töten, morden oder Waffen herstellen. Hier ist der Geist des Bösen am Werk.“ Überall da, wo Krieg, Mord und Totschlag sind, ist der Teufel als Antichrist mit im Bunde. Und er versucht mit uns ins Gespräch zu kommen, immer wieder. Jesus hat es verstanden, ihm nicht zu antworten. Er begegnet ihm nicht im Gespräch, sondern zitiert die Worte der Bibel. Denn im Gespräch gewinnt er immer. Deshalb ist es wichtig, ihn wegzuschicken, so wie Jesus es in der Wüste tat. Und wenn wir vom Teufel in Menschengestalt reden, so müssen wir bedenken, dass dieser Mensch immer noch Abbild Gottes ist, der ihm bis zuletzt vergibt. Selbst Judas findet zur Reue. Wir müssen die Last unserer Sünde fühlen. Nur daraus kann Reue entstehen – und die Bitte um Verzeihung.

Das Bitten hat auch im Gebet seinen Platz: darum zu bitten, den nötigen Erhalt der Familie, durchaus auch im wirtschaftlichen Sinn, zu bekommen, das ist legitim für Franziskus. Es ist die Bitte für das Leben. Nicht jedoch, zu bitten um Macht und Einfluss, Reichtum, Materialismus. Beim letzten Abendmahl bittet Jesus seinen Vater darum, dass er seine Jünger vor dem Einfluss des Weltlichen schützen möge. Denn nicht Hochmut und Unterdrückung sind im göttlichen Sinne Gestalter des Lebens, sondern alles das, was Frieden und Gutes unter den Menschen erzeugt. In diesem Sinn kann kein Mafioso ein gläubiger Christ sein. Denn hier wird die Religion, die Kirche benutzt, um die Schlechtigkeit zu bemänteln.

Ähnlich verhält es sich mit dem grassierenden Populismus in der Welt, in Europa. Papst Franziskus bemüht das Scheitern der Weimarer Republik und die anschließende Herrschaft der Nationalsozialisten: „Deutschland war verzweifelt, von der Wirtschaftskrise 1929 geschwächt, und dann kam dieser Mann daher und sagte: Ich kann, ich kann, ich kann! Er hieß Adolf. So ist es dann gelaufen. Er hat das Volk davon überzeugt, dass er konnte. Populismus braucht immer einen Messias. Und auch eine Rechtfertigung: Wir bewahren die Identität des Volkes!“ Franziskus entwirft er ein Gegenbild: „Als die großen Politiker der Nachkriegszeit wie Schuhmann oder Adenauer von der Einheit Europas träumten, schwebte ihnen nichts Populistisches vor, sondern die Verbrüderung Europas, vom Atlantik bis zum Ural. Diese Männer besaßen die Gabe, ihrem Land zu dienen, ohne sich ins Zentrum zu stellen, und das machte sie zu großen Anführern. Sie mussten kein Messias sein. Populismus ist böse und endet schlecht, wie das vorige Jahrhundert gezeigt hat.“

Franziskus geht jedoch noch weiter: die Krisen und Kriege in vielen Teilen der Welt sind für ihn ein zusammenhängender Verbund: der dritte Weltkrieg. Den hält der militärisch-industrielle Komplex am Leben und die Nachschau, wo diese Komplexe sitzen führt eben auch nach Europa, also zu uns – doch wir schauen nicht hin, schauen lieber weg. Erst dann öffnen wir die Augen, wenn Flüchtlingswellen an unsere Grenzen schwappen.

Die Menschen suchen auch heute nach großen Vorbildern, Anführern – da sieht sich Franziskus nicht: „Ich sehe mich nicht als etwas Besonderes. Ich finde eher, dieses Bild wird mir nicht gerecht. Ich bin – ich will nicht sagen: ‚ein armer Teufel‘, aber ich bin ein ganz normaler Mensch, der tut, was er kann. So fühle ich mich. Und wenn dann jemand wer weiß was über mich sagt, dann tut mir das nicht gut.“ Das gilt auch für die Kurie: „Es gibt nicht den Vater, sondern nur Menschen. Alle Eltern sind Sünder in der Gnade Gottes, denn nur das gibt uns den Mut, weiterzumachen und dieser verwaisten Zeit Leben zu schenken. Ich bin Sünder und ich bin fehlbar, und wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisierung eines Menschen stets auch eine unterschwellige Aggression ist. Wenn ich idealisiert werde, fühle ich mich angegriffen. (…) Man gesteht mir nicht zu, ein fehlerhafter Sünder zu sein.“

Giovanni di Lorenzo fragt nach den Plakaten gegen Seine Heiligkeit, die in Rom geklebt wurden. Darauf wurde er der Unbarmherzigkeit geziehen gegenüber den Kardinälen, wurde ihm vorgeworfen nicht zuzuhören. Doch Franziskus begegnet dem Hinweis mit feinem Humor: die Fälschung des Osservatore sei nicht schön gewesen, wohl aber der römische Dialekt in dem der Text formuliert war: ein kluger Kopf habe da gute Arbeit gemacht. Er bete jeden Tag: „Herr, schenke mir Sinn für Humor!“

Copyright IML März 2017