Jana Graul, Neid
Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit
Hirmer Verlag, München, 2022
480 Seiten, geb., 24,3 x 30,5 Bilder Farbe / sw 98.- €
Calor nativus – Color vitale
Die Plastizität der Welt erschaffen heißt, ihre Vergänglichkeit für den Moment der Betrachtung aufzuheben, derweil im Betrachter der Kunst der berührende Affekt von Wirklichkeit entsteht. Frank Fehrenbach weist im gleichnamigen Aufsatz (in Pfisterer: Visuelle Topoi 2003) bei Leonardo auf, auf welche Weise unsere sprachverhafteten Vorstellungen, gleichsam dünnblütige, kurzlebige Schatten (Fehrenbach), in bildender Kunst und Malerei ekphrastisch zum Leitmotiv ihrer Zeit avancieren. Die vivacità zeigt sich in der besonderen Kunstfertigkeit der Täuschung des Betrachters, der real wähnt, was doch „nur“ optische Illusion. So wird von Giotto (bei Vasari) überliefert, er habe auf ein Kunstwerk seines Meisters Cimabue eine so täuschend echte Fliege aufgemalt, dass der Meister zunächst versucht habe, diese zu verjagen, bis ihm schließlich die gelungene Illusion auffiel.
Graul widmet sich mit ihrer hochverdienten (mehrfach preisgekrönten) Arbeit einem Generalthema des Menschen, hier in seiner spezifischen Ausformung in der Kunst und ihren gattungsübergreifenden Formen. Invidia oder Neid, besser Missgunst ist ein lebensbegleitendes Phänomen, das von einer sozio-affektiven Beeinträchtigung bis hin zur pathologischen Störung reichen kann. Giottos Invidia in der Capella degli Scrovegni weist auf die selbstzerstörerische Natur dieser Gefühle hin, die sich bereits in den Doppelbiografien Plutarchs (Perikles) nachlesen lässt: Perikles, der ob seines Äußeres Anlass zu Spott und Hohn insbesondere der Komödiendichter bot („Meerzwiebelkopf“). Plutarch zitiert Telekleides: Perikles „niedergedrückt von der Last der Geschäfte sitze (er) bald schweren Hauptes in der Stadt, bald lasse er (…) aus seinem elf Speisesofas fassenden Kopf ein lautes Getümmel hervorbrechen.“ (Plutarch, Fünf Doppelbiografien, Artemis & Winkler 1994) Neid und Hass waren Perikles in seiner langen Laufbahn gewiss. Ebenso seinem Umfeld: der berühmte Bildhauer Phidias mit seinem überragenden Bildprogramm fiel ebenso in Ungnade, wurde der Asebie angeklagt und womöglich vergiftet. Doch treffen sollte es Perikles, dem man seinen Geltungsdrang übelnahm. Insoweit galt der Prozess gegen Phidias als Probelauf, wie das Volk auf einen solchen gegen Perikles reagieren würde. Um sich dem zu entziehen, heißt es, habe Perikles Athen bewusst in den Peloponnesischen Krieg getrieben.
Verleumdung des Apelles
Der alte Streit zwischen Dichtkunst und Malerei, wem die bessere invenzione gebühre, bringt Botticellis „Nachbildung“ des Apelles (bei Lukian beschrieben und von L.B. Alberti hochgelobt für die Form der invezione) in eine paradigmatische Position. Das „neue“ Sujet, hier in einer allegorischen Vorstellung, zitiert (auch einen christlichen) Sündenkatalog. Kern der Verleumdungsgeschichte ist die üble Nachrede des griechischen Ägypters Antiphilos, Zeitgenosse und Kollege des Apelles. Lukian berichtet, dieser habe jenen beim König (Ptolemaios I) aus Eifersucht denunziert, an einer Verschwörung gegen den Herrscher beteiligt zu sein. Nach dem Erweis seiner Unschuld rächte Apelles sich vorgeblich mit einem Gemälde ähnlich dem Botticellis. Eine moralisierende Allegorie personifizierter menschlicher Charaktereigenschaften, Emotionen und damit verbunden Handlungen in einem mehrstufigen Gemälde mit dem typisch hohen Abstraktionsgrad hellenistischer Kunst. Wiewohl nur eine Episode aus dem reichhaltigen Leben Apelles, der für den Königshof Philipps und Alexanders arbeitete und weit berühmt für seine Kunst war, hat die Typisierung sich erhalten, im Gegensatz zu seinen Originalen, keines ist überliefert.
Botticelli – Invida
Eine Wandelhalle, Apsiden mit Genrefiguren, der Blick hinaus ins Weite, steht zur Rechten ein dreistufiger Thron, darauf der König mit Zepter und Krone und langen Eselsohren, lauscht er dem Wispern zweier Frauen, der Dummheit und der Anmaßung. Davor die anklagende Kapuzengestalt, die junge Frau mit Fackel bindend. Neid und Verleumdung. Der fast nackte Apelles zu ihren Füßen, wird von dieser an den Haaren herbeigeschleift. Zwei andere junge Frauen werben um die Verleumdung, die Nachstellung und der Betrug. Schließlich die Einflüsterinnen des Königs, Unwissenheit und Verdächtigung. Zur Linken noch die Lumpenalte (Reue), flankiert von der nackten Wahrheit, einer den Himmel anrufenden unbekleideten jungen Frau. Die Typisierungen scharf, die Allegorie klar.
Graul betont, auch die Umstände von Botticellis „Verleumdung“ blieben im Ungefähren. Dagegen schuf Andrea Mantegna kurze Zeit später eine Federzeichnung als Reliefdarstellung des Sujets, das eine prägende Bildtradition begründete. Die Finesse bestand darin, ein gezeichnetes antikes Relief nachzubilden, mittels dessen Mantegna zum einen il paragone mit Apelles eröffnete, zum anderen das Thema der invenzione aufgriff und mit dem seinerzeit in der Kunsttheorie als sehr anspruchsvoll gewerteten rilievo besetzte. In seiner Bildfeldtradition zitierte Mantegna die Entgegensetzung von Tugenden zu Lastern. „Beide Elemente, Konkurrenz mit der Antike und Aufmerksamkeit für ethische Fragen – liegen bereits einem Stich (…) aus den (wohl späteren) 1470er Jahren zugrunde, mit dem Mantegna in Gestalt miteinander kämpfender Meereswesen ein, wie es Ulrich Pfisterer treffend formulierte, ‚Pamphlet über die invidia unter Künstlern‘ geschaffen hat“, resümiert Graul.
Paragone delle arti
Der kunsttheoretische Diskurs welche Kunstgattung aus ästhetischer Sicht und hinsichtlich des künstlerischen Könnens die Vorherrschaft für sich beanspruchen könne, verzeichnete neben L.B. Alberti, Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci ebenso wie Benedetto Varchi, Michelangelo, Vasari und Benvenuto Cellini. Je nachdem, wer an der Accademia del Disegno gerade die Deutungshoheit beanspruchen konnte, gab der Bildhauerei oder der Malerei den Vorzug.
Eine mächtige Stimme in diesem Konzert ist Pietro Aretino, ein Uomo universale der Renaissance, Sonettenschreiber, Polemiker, der ebenso religiöse Erbauungsliteratur wie pornografische Schriften („flagello de‘ principi“) verfasst, als Söldner der Feder gegen die Herrschenden anschreibt, was ihn die Stellung am Hof des Papstes, später auch bei den Gonzagas in Mantua kostet, schließlich kann er sich bei Venedigs Elite verdingen. Gleichwohl zeichnet Vasari in seinen Viten ein positives Bild der „maniera moderna“ Aretinos, sie kamen schließlich aus derselben Geburtsstadt.
Bereits im entfernten Venedig angekommen, bricht Aretino 1545 einen wütenden Streit des Inhalts vom Zaun, Michelangelo (Buonaroti) habe für das Jüngste Gericht in der Sixtina nicht den Anforderungen des decorum entsprochen, was dieser korrigieren solle. In der Manier eines opulent ausstaffierten Renaissancefürsten (der er nicht war, sich aber den Anstrich gab) hatte er sich von Tizian porträtieren lassen, „il divino“ und „condottiere della penna“. Seine Räsonnements zu Tizian, Sebastiano del Piombo, Lorenzo Lotto oder Tintoretto erschienen den Zeitgenossen durchaus als Schriften eines Kenners, ganz so viele seiner Gedichte. Im Fall des Briefs an Michelangelo hatte er sich jedoch vergriffen: als Berater für das theologische Konzept des Altarbildes in der Sixtina wollte Michelangelo ihn nicht an seiner Seite. Aus tief empfundener Beleidigung legte Aretino im Januar 1546 nach. Nun bezichtigte er Michelangelo der Homosexualität. Das hatte allerdings nur Folgen für Aretino. Der Meister bannte dessen Konterfei als Apostel Bartholomäus ins Jüngste Gericht. Der Apostel trägt Michelangelos leere Leibeshülle. Auf der abgezogenen Haut (zum Zeichen des Martyriums) schuf Michelangelo ein Selbstbildnis, womit er seiner Furcht vor einem zweiten Tod und der Angst vor der Sünde einen (für sich genommenen) erschütternden Ausdruck verlieh. Für Aretino blieb ein Spottbild seiner Zeit – und das auf ewig der Nachwelt erhalten. Gleichwohl: Anselm Feuerbach huldigte 1854 mit einem opulenten Gemälde „Der Tod des Pietro Aretin“ dessen Persönlichkeit.
Neid: Ehre, Ruhmsucht, Vergänglichkeit
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Mit diesem Schiller-Satz können wir sehr gut die strukturellen Bedingungen von Neid verstehen. In seiner destruktiven Form (Missgunst) konkurriert das Gefühl des scheinbar zu kurz Gekommenen mit dem materiellen (und / oder) immateriellen Erfolg bei einem auch für ihn gewünschten Publikum. Dahinter lugt das Bedürfnis nach (sozialer) Anerkennung hervor, das mit (faktischer) Ausgrenzung verpaart sein kann, wenn Gruppen jemanden ausschließen. Dann bricht dieses Neid-Gefühl um in Missgunst, die darin gipfelt, dem Beneideten die Pest an den Hals zu wünschen, ihn untergehen zu sehen, um daraus ein Befriedigungsgefühl für sich zu gewinnen, das die Missachtung der eigenen Person (vermeintlich) aufhebt. Positiv verstanden ist das Beneiden etwas, das Ansporn erzeugt im guten Wettbewerb mit dem Anderen einen fairen und gesunden Wettstreit um ein Ziel auszufechten.
Eine der berühmten Neid-Fehden der europäischen Kunstgeschichte ist jene zwischen Giovanni Baglione und Michelangelo Merisi (genannt Caravaggio). Baglione, Maler und Freskant zwischen Manierismus und Frühbarock, hatte durchaus einige Erfolge vorzuweisen (Marienzyklus für Santa Maria dell’Orto, Beteiligung an der Deko des Querschiffs San Giovanni in Laterano unter der Leitung des Cavalier d’Arpino), als er versuchte Caravaggio bei den Giustiniani auszustechen. In seiner Eigenschaft als Kunstschriftsteller kommentierte er, Caravaggio habe einen so lebensnahen Cupido gemalt (Amor als Sieger), mit der Folge, dass Vincenzo Giustiniani Merisi deshalb ganz unsinnig bewundere (Jutta Held, 2007). Baglione versuchte mit der Übernahme von Maltechniken Caravaggios (Chiaroscuro, Schlagschatten) an dessen Erfolg in der Contarelli-Kapelle anzuknüpfen, malte seinerseits einen „Himmlischen Amor“, der den irdischen Amor bestraft. Doch das (durchaus gelungene) Bild fand nur Spott bei den Anhängern Merisis. Der Haupteinwand lautete, Baglione habe einen Erwachsenen in Rüstung gemalt (Ebert-Schifferer, 2009). Bald tauchten Spottgedichte auf, die Baglione karikierten. Daraufhin zog dieser in einem Verleumdungsprozess gegen Merisi vor Gericht. Dort verstricken sich beide Parteien in einen unerbittlichen Hören-und-Sagen-Streit. Obwohl Merisi in dessen Verlauf in Haft kam, wurde dies nach vierzehn Tagen wieder aufgehoben, denn die Klage Bagliones blieb ohne Tatsachenbeweis. Karinal Del Monte mag im Hintergrund für Caravaggio eingetreten sein. Die offene Feindschaft ging weiter, Baglione setzte seinem Widersacher Caravaggio in einem seiner Bilder mit den Zügen des Luzifers ein schönes Denkmal. Doch die Konsequenz dieses Künstlerstreits liegt offen zu Tage – bis heute: Caravaggio erlebte seit dem 20. Jahrhundert eine enorme Renaissance, Baglione blieb etwas für wenige Kenner. Eine erste monografische Ausstellung mit hervorragendem Katalog (museum kunstpalst Düsseldorf, 2008) zu Baglione fand bislang keine Nachahmung.
Die vorliegende Studie von Jana Gaul (mit vielfältigem Bildmaterial) ist eine exzellente, quellengesättigte Arbeit zum Thema Künstler-Neid in allen seinen differenzierten Facetten. Die Bandbreite wird deutlich an den Themen, die die Autorin dazu bearbeitet (Bsp.: die Enthüllung der Wahrheit bei Baglione und Bernini / geisteswissenschaftliche Tradition / Rhetorik und Künstlerleben). Ihr stupendes Wissen kontextualisiert Graul (Bsp.: „Überlagerung von Invidia und Medusa sowie mit der
apotropäischen Wirkmacht von Gorgone und Bild“ bei Joachim Sandrat [Minerva und Tempus beschützen Kunst und Wissenschaft vor Invidia und Bugia] KHM Wien) und arbeitet immer wieder das Allgemeine im Besonderen heraus. Dem Leser erschließt sich so ein reichhaltiges Bild an Figuren und Akteuren. Eine ebenso präzise wie klare Sprache erleichtert den textlichen Zugang. Drei (!) Register ermöglichen das zügige Auffinden von Textstellen, ergänzt von einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Preise der Hertziana, der Benvenuto Cellini-Gesellschaft und des Hans-Jansen-Preises der Akademie der Wissenschaften, Göttingen.
Ein zukünftiges Standardwerk für Forschung und Bildung.
Ingo-Maria Langen, August 2022