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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Verdammte Lust – Kirche | Körper | Kunst

Verdammte Lust
Kirche| Körper | Kunst

Diözesan Museum Freising
Hrsg. v. Carmen Röll, Christoph Kürzeder, Steffen Mensch, Marc-Aeilko Aris

Ausstellung 05.03.23 bis 29.05.23
Katalog 453 Seiten, 49.90.- €
Essayband 215 Seiten, 70 Abbildungen, 39,90.-€
Hirmer Verlag, München 2023

Non vitae sed scholae discimus

Die Inversion des geläufigen Sinnspruchs Sencas aus den Briefen an Lucilius zur Frage der Körperhaftigkeit von Tugend ist eine Warnung an übertriebene Gelehrsamkeit zu Lasten der Lebenspraxis. Und doch ist beides miteinander verschränkt. Katalog und Ausstellung illustrieren dieses einander bedingen, das Verwoben sein in wechselnden Kontexten. Im zeitlosen Spannungsfeld zwischen Tugend und Sünde entfaltet sich ein Bogen der Möglichkeiten von Erkenntnis über die Gestaltung von Kunst.

Der Katalog gliedert sich in acht Kapitel mit den Leitthemen: „Der schamlose Körper, Der sündige Körper, Der sinnliche Körper, Der reine Körper, Der verbotene Körper, Der erlaubte Körper, Der verletzte Körper, Es bleibt schwierig“. Die attribuierte Unterscheidung deutet bereits auf Ambivalenz und Zwiespältigkeit hin: die Verschränkung der nicht trennscharfen Themen sowie ihre Exposition gegen die Moral. Kardinal Marx betont im Grußwort die zentrale Stellung der katholischen Sexuallehre in ihrer (noch zu erforschenden) Beeinflussung der Künstler auf ihr Werk. Die künstlerische Freiheit beschreibt er als oft „mutig, facettenreich und mehrdeutig“, (…) „nur vordergründig in den wohlgeordneten Bahnen geltender Moralvorstellungen und kirchlicher Lehre“ verortet. Gleichwohl aber nah an der Lebenspraxis der Menschen, „in der sich Körperlichkeit und Sexualität in letzter Konsequenz jeder Regulierung und Normierung durch Gesellschaft und Kirche entziehen.“ Das gilt nicht zuletzt für die Kirche und deren bestellte Vertreter selbst. Die Ausstellung biete „keine vorgefertigten Antworten“, sondern rege in ihrem Erleben zum Nachdenken an, denn „Kunst kann und soll auch die Theologie und Lehre der Kirche herausfordern.“ Bedenkt man für einen Moment die zwei streitenden Herzen der Kirche über den Synodalen Weg, nimmt sich dieses Ansinnen fast radikal liberal aus.

Die Ausstellung steht zudem in einem äußeren Spannungsfeld, das spätestens mit der raumgreifenden Aufdeckung der Missbrauchsfälle seit 2010 die Kirchenleitungen unter Druck setzt. Die entstandene Glaubwürdigkeitskrise als Folge vertuschten Missbrauchs offenbart die Erosion des Grundvertrauens in Kirche und Priester, obschon auch andere Institutionen Missbrauch aufzuweisen haben. Eklatant klaffen Anspruch auf Wahrheit und Gehorsam in der kirchlichen Sexuallehre mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen auseinander, ist von ihren Vertretern selbst die notwendige Befolgung oft nicht vorhanden. Das zugrundeliegende christliche Menschenbild der (katholischen) Kirche gesteht dem Menschen einerseits ein sexuelles Menschsein zu, beschneidet aber andererseits (dirigistisch und radikal) gelebte Sexualität. Dem liegt die idealisierte Vorstellung von göttlich reiner Liebe und menschlich unreiner Begierde zugrunde. Schuld und Sünde sind die Folge, gegossen in Verbote und Gebote, gipfelnd in der sakramentalen Stellung des Priesters als quasi desexualisiertes Wesen, herausgehoben aus der Gemeinde, in der Eucharistie direkt aus Gottes Mund handelnd. Diese Überhöhung bricht in der Praxis an der Krise des Menschseins und dessen Bedürfnissen. Um dennoch den Anspruch aufrecht zu erhalten, werden Bußpraxis, spirituelle Konzepte, Verdrängung oder Sublimation geübt. Das führt zu Doppelmoral und der Tragik menschlichen Scheiterns. Die institutionelle Macht der Kirche beruht jedoch wesentlich auf der Macht über Menschen, hier der über die sexuelle Selbstbestimmung. Kontrolliert man diese, kontrolliert man den ganzen Menschen. Krzysztof Charamsa hat dies in „Der erste Stein“ nachgezeichnet. Es bleibt die Herausforderung einer umfassenden und angemessenen Auseinandersetzung mit den basalen Themen menschlicher Existenz. Sexualität in ihren vielfältigen Formen ist ein Zentralthema. Ausstellung wie Katalog nehmen das in den Blick.

Scham und Schuld

Referenztexte finden sich zunächst in den Quellen des AT und NT. Die Erzählung von Adam und Eva als eine von Erkenntnis, Scham und Schuld in Folge legt die Basis. Sie kreiert die Erbsünde, die später ihre einzige Ausnahme in Marias Geburt findet. Der Sündenfall konstituiert alles weitere: die Mühsal des menschlichen Lebens, seine Anfechtungen, Krankheiten, schließlich den Tod – ganz ohne die unbedingte Aussicht auf das Paradies. Der Wunsch am heilsgeschichtlichen Geschehen Anteil zu haben, bleibt freilich bestehen und wird von der Kunst als Aufgabe wie auch Verheißung oder Mahnung aufgenommen.

Die plastischeren und ausgefeilteren Darstellungen im Übergang zur Renaissance lassen einen Markt unter Kunstinteressierten und dem sich entwickelnden Bürgertum entstehen. Die Werkstätten von Cranach und Kollegen prägen im Umfeld der Reformation Handel und Produktion. Die populäre Umsetzung biblischer Stoffe bescherte Cranach über die Abkehr des Pathos von Dürer eine hohe Gunst der Käufer und Auftraggeber, paradigmatisch eingefangen im Bild „Adam und Eva (Der Sündenfall)“ um etwa 1537. Mit ca. 5000 Exemplaren war die Werkstatt Cranach eine kommerzielle Goldgrube. Die Legitimation figürlicher (menschlicher) Nacktheit gewann auch über ihre Kombination mit Tiersymboliken zunehmend an Zustimmung. Zugleich fächerte das Sujet die inhaltlichen Bezüge auf: von biblischen über mythologische Szenen bis zu mehr oder weniger eindeutigen Lustbarkeiten, die den ausgesprochenen Voyeurismus ihrer Käufer bedienen sollten, etwa in der Darstellung „Mönch züchtigt Nonne“, die einschlägige Phantasien anspricht.

Sinn und Sinnlichkeit werden zum Zentralmotiv, eingebettet in theogonische und theologische Erzählungen oder symbolische Bezüge, treffen die Darstellungen mehr oder weniger freizügig das Spiel zwischen Erotik, Begehren und Lust. Auffällig tritt zumeist die Frau als „Objekt“ der Begehrlichkeit des Mannes in lasziver Pose auf. Diese Reduzierung auf Triebstrukturen versinnbildlicht das bis heute andauernde Missverhältnis in der Wahrnehmung: Umgekehrt bedient die Laszivität männliche Fantasien, leistet dem Vorurteil der ‚willigen‘ Frau in unverschämter Weise Vorschub. Hier wird männliches Triebstreben zur Projektion, die alles Weibliche zu seinem Verfügungswunsch herabwürdigt und damit eine Schuldumkehr provoziert. Die Hexenverfolgungen des MA sind perverse Ausgeburten dieser Sichtweisen.

Die Bibel, für lange Zeiten ein ‚Buch mit sieben Siegeln‘, hatte die Kirche doch die Hoheit über ihre Auslegung, kanonisierte Eva frühzeitig als Versucherin, Verantwortliche für den Sündenfall des Mannes und damit letztlich als Prägefolie für das christliche Menschenbild und die christliche Moral. Beide sollten vom Mittelalter bis weit in die Neuzeit Bestand haben. Kaum spekulativ zu behaupten, es gäbe (in Deutschland) keinen „Synodalen Weg“, wäre die Aufdeckung des Missbrauchs in der Kirche unterblieben. Desto erstaunlicher Darstellungen wie jene des Sebald Behams: Tod und Laszives Paar (1529). Carmen Roll schreibt dazu: „Klein, aber oho, so ließe sich der Kupferstich auf einen Nenner bringen, (…) ein pornografisches Blatt im Mäntelchen einer Vanitas-Allegorie.“ Dem Künstler bekam diese Freizügigkeit nicht, er musste Nürnberg verlassen. Roll: „Fest hat ihn die mit langen, aufwallenden Haaren verführerisch auftretende Frau an Schulter und Genital gepackt, während sie ihn herausfordernd anschaut. Zugleich kontert er mit dem Griff zwischen ihre Beine, die überkreuzt, den Hinweis auf einen bevorstehenden oder schon vollzogenen Geschlechtsakt verraten.“ Der Tod mit der Hand auf der Schulter des Mannes, das Kind mit dem Griff in den Geldsack, die Abwesenheit von Apfel und Schlange, entheben die Darstellung dem heilsgeschichtlichen Raum und lokalisieren sie im allgemein Menschlichen. Im Sittenspiegel der Gesellschaft: die Verfolgung des Künstlers, bigotte Moral heimlicher Voyeure. Gerahmt wird das Bild mit Sozialkritik an den weltlichen Verhältnissen: Zins, Wucher, Preisspekulationen – „Wer Geld hat, hat was er will“ (Hans Sachs).

Schlüssel zur Reinheit

Reiner Geist im reinen Körper: das Ideal der Enthaltsamkeit als Mittel zum Zweck. Im Anschluss an Augustinus entwickelt, mit dem Vorbild Jesus und Maria. Der neue Adam und die neue Eva als Kontrapunkt zum Erbsündenpaar kennen beide keine sexuellen Begierden, ist Maria Immaculata Leitstern fraulicher Entwicklung. Buße, körperliches Leiden, Reinigung des sündigen Körpers (von hormonell-physiologischen Bedingungen wusste man noch nichts), Askese. Instrumente zur Kasteiung, um eine ‚Vergeistlichung‘ in der Nachfolge Jesu und Marias zu erreichen. Zugleich boten Heiligenfiguren wie Sebastian, Maria-Magdalena oder Antonius Projektionsflächen für erotische Fantasien: Prostitution, Homosexualität, Sadomasochismus.  Der schmale Grat des prallen Lebens: Künstler zwischen Spiritualität und sexuellen Sehnsüchten.

Fiat – es geschehe

Insbesondere in der Mariologie manifestierte sich das theologische Ideal der Reinheit. Der Katalog verzeichnet ein Bild von Bernardino Lanino „Gottesmutter mit Kind“, das eine außergewöhnliche Schönheit von Mutter und Kind zeigt, verbunden mit der Nacktheit des Knaben, als Ausdruck der Reinheit im Sinne christlichen Heilsgeschehens. Das Narrativ solcher Bildnisse trug mit dazu bei, den Anspruch christlicher Ikonografie in der Mitte der Gesellschaft zu festigen. Die Gegenüberstellung von Eva und Maria unter dem Gesichtspunkt der Mutterschaft weist beiden eine Traditionslinie zu: Eva als Mutter des Menschengeschlechts, Maria als Mutter Jesu. Bringt die Schuld der einen Erbsünde und Tod unter die Menschen, heilt die Zustimmung der anderen die Missachtung Gottes durch die keusche Empfängnis und die Menschwerdung Jesu, aus der schließlich die Erlösung des Menschen erwächst. Ave maris stella – die Sünde verbleibt damit bei Eva, das vermag auch (im Wortspiel gewendet) Maria nicht zu tilgen. Eine bis heute geltende Herrschaftsdeutung aus der Sicht des (katholischen) Mannes. Abweichend und zutreffend: Christof Breitsameter im Essayband. Vielleicht würde ja dereinst eine Päpstin dieses καθολικός einmal richtig durchschütteln.

Die Kuratierung der Bilder und Ausstellungsstücke nach Provenienz, Bedeutung und kultursoziologischem Hintergrund, Bildfeldtradition und Bildfeldausdeutung sowie einer historiografischen Einordnung ermöglicht einen guten Zugang für den Betrachter. Abweichungen oder Zuschreibungen werden kontextualisiert. Dem Leser erschließen sich somit auch epochenübergreifende Vergleiche etwa zu Maltechnik und Textur. Exemplarisch sei Caravaggio und die (nachfolgenden) Caravaggisten in Italien oder Holland genannt. Das ermöglicht dem Auge des Betrachters die unterschiedlichen Ausformungen etwa zum Thema Chiaroscuro nachzuvollziehen. Ein vertieftes Lesen und Schauen, das schnell einen ganzen Leseabend ausfüllt. So finden sich Querschnittsthemen, die epochenübergreifend studiert werden können. Der Verlauf von Ausdeutung und Formensprachen in der Mariologie ist ein schönes Beispiel dazu. Hilfreich sind die größeren Ausschnitte zu Einzelbildern. In Vor- und Nacharbeit zur Ausstellung öffnet sich für den Leser somit ein kunsthistorisches Panorama, das weit über den eigentlichen Fokus der Ausstellung hinausreicht. Das Anmerkungsverzeichnis ist benutzerfreundlich, ausführlich und mit weiterführenden Hinweisen. Ein Katalog, der seinen Nutzen über die Ausstellung hinaus bewahrt.

Reine Hände

Der Essayband vertieft die im Katalogband angesprochenen Kernthemen zur christlichen Theologie und ihrer Sündenbegründung, von Sexualität und Unreinheit oder Keuschheit, zu Zölibat und Jungfräulichkeit bis hin zu Gärten der Lust (Auswahl). Ein paar Gedanken zum Aufsatz Hubert Wolfs zu Zölibat, Keuschheit und Jungfräulichkeit sollen stellvertretend für den ausgezeichneten Band genügen. Wolf beginnt mit einem ungewöhnlichen Zitat: „Ich habe lange Zeit geglaubt, dass ein Mann, nachdem er zum Priester geweiht worden ist, nie mehr auf die Toilette muss, damit seine reinen und ehrwürdigen Hände, mit denen er den Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus in jeder Heiligen Messe anfasst, vor jeder unreinen Berührung geschützt sind.“ Diese Aussage einer Ordensschwester aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mutet extrem irritierend an. Und doch hat sie eine gewisse Notwendigkeit in der Begründung der katholischen Lehre. Waren in der Frühzeit des Christentums Kultus und Reinheit eher lose miteinander verflochten, begann mit der Institutionalisierung des Christentums eine Art Abgrenzungswettlauf mit anderen Kulten wie auch der Philosophie der Stoa, die einen deutlich leibfeindlichen Akzent setzte. Um diese zu überstrahlen, musste der christliche Kultus in der Wahrnehmung seiner Anhänger (und neu zu gewinnender Gläubiger) noch reiner sein. Ursprünglich an Mönche und Nonnen gerichtet, gewannen die leibfeindlichen Konturen für die priesterliche Askese und damit den Zölibat an Bedeutung. Die Christen sollten den Heiden den Rang ablaufen. Es entwickelte sich ein Streben nach „Jungfräulichkeit“ des Priesters, um eine besondere Reinheit für die kultische Handlung zu symbolisieren und diesen aus dem allgemeinen Gefüge der gesellschaftlichen Sozialordnung herauszuheben: der Priesterstand als divergente, von Gott eingesetzte Stellung, der die Eucharistie nur dann mit Würde vollziehen könne, habe er ‚reine Hände‘. Zwar ist den Evangelien diese Reinheitsvorstellung fremd (vgl. Mt. 15), so wurde gerade im Nachgang zur Französischen Revolution diese symbolisch aufgeladen, um in der neuen Welt nach 1789 noch einen Platz finden zu können. Extremer Rigorismus war die Konsequenz. Diesen verkörperte der Pfarrer Jean-Baptiste Vianney in besonderer Weise. Bis zu seinem Tod wetterte er gegen die leiblichen Vergnügungen, maß sich selbst ein überbordendes Arbeitsprogramm zu, saß oft schon nachts ab ein Uhr im Beichtstuhl. Er wurde von vielen verehrt, allein im letzten Lebensjahr soll er einhunderttausend Beichten abgenommen haben. An diesem Priesterbild orientierte sich Kirche bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, asketische Enthaltsamkeit und aufopfernde Arbeit als ethische Leistung, die geradezu märtyrerhafte Züge tragen sollte. Bis weit in unsere Tage hinein hat dies Bestand gehabt, erst die Enthüllungen zum systemischen Missbrauch in der Kirche brachten dieses Bild zum Einsturz.

Ingo-Maria Langen, April 2023