Mary L. Trump
Zuviel und nie genug
Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf
Aus dem Amerikanischen von Christiane Bernhardt, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Monika Köpfer und Eva Schestag
Wilhelm Heyne Verlag, München 2020
286 Seiten, 22.- €
Mary L. Trump, die Nichte von Donald J. Trump, dem 45. Präsidenten der USA, ist promovierte Psychologin. Sie arbeitet in den Bereichen von Traumatherapie, Psychopathologie und Entwicklungspsychologie.
Feature
Warum, so könnte man zu Recht fragen, denkt der Autor über ein Buch nach, dessen Person der Zeitgeschichte inzwischen aus dem aktuellen Regime gefallen ist? Die Antwort ist einfach und folgenreich zugleich: Es gab in der Geschichte wenige Staatsmänner, die in besonderem Maße aus dem Erwartungs- und Qualifikationshorizont herausgefallen sind. Richard Nixon zählte sicher dazu, Ronald Reagan war eher ungeeignet (folgt man der Analyse Jill Lepores) und George H. Bush ist umstritten. Allerdings treten bei D. Trump noch weitere Umstände hinzu, die seine Nichte beleuchtet und die in exemplarischer Weise auch an antike Überlieferungen von Thukydides oder Plutarch erinnern. Macht weise auszuüben ist seit den Tagen Salomos eher selten gelungen.
Mary L. Trump nimmt eine Doppelperspektive ein: aus der Sicht eines Familienmitglieds ist sie nah dran am Geschehen, als Psychologin nah am Gegenstand ihrer fachlichen Analyse. Dieser reizvolle Ansatz wird leider nicht eingelöst. Als Sachbuch fehlt dem Buch sowohl die notwendige Stringenz als auch der Nachweis von gesicherten Quellen und Hinweisgebern. Letztere halten sich im Ungefähren der Familie und der nächsten Umgebung. Im Kontext der psychologischen Analyse wäre es hilfreich gewesen, eine Erläuterung der in Bezug auf ICD 10 oder das von Trump genannte DSM 5 zu bekommen: Was zeichnet die Angststörung bei D. Trump aus? Wie ist sie klinisch zu bewerten und welche Möglichkeiten bieten sich in der Praxis – gerade auch für seine Umgebung? Was ist mit einer psycho-affektiven Störung? Wie ist ihre Bewertung der „Soziopahtie“ für ihren Onkel einzustufen? Hilfreich wäre dies allein deshalb gewesen, um dem Leser zu verdeutlichen: Hier wird ein Mann der Geschichte verhandelt, dessen Wirken eine katastrophale Wendung für das Land wie das Weltgeschehen nehmen konnte – die potenzielle Gefahr zeigte sich spätestens am 06. Januar 2021 mit dem „Sturm auf das Kapitol“. Da war das Buch seit fünf Monaten auf dem Markt.
Über weite Strecken werden wir – in durchaus bester angelsächsischer Erzähltradition – in das Familiengeschehen aus nächster Nähe hineingezogen. Das ist ein „Stoff“, der durchaus das Zeug von „House of Cards“ hat. Bereits die Entwicklungslinien der Familie sind durchzogen von emotionaler Kälte, psychischer Grausamkeit sowie der menschlichen Instrumentalisierung um jeden Preis: den des Erfolgs und des Geldes. Zentrale Figur dabei ist Fred Trump, der Vater von Donald J. Ihm gelang in der Nachkriegszeit der Aufbau eines großen Bau- und Immobiliengeschäfts in Brooklyn. Über öffentliche Fördergelder der Federal Housing Administration schuf Fred Trump Wohnraum zu vertretbaren Preisen, wenngleich auch bescheidener Qualität. Das Geschäft entwickelte sich zu einer „Cash Cow“. In den Achtzigern, als Donald J. das Geschäft mehr und mehr übernahm, tendierte die Firmenbewertung von „Trump Management“ gegen die Milliardengrenze.
Zuvor jedoch hatten pathologische Tendenzen in der Persönlichkeit Freds den Weg dafür geebnet, den ältesten Sohn aus dem Haus in die Selbständigkeit zu treiben, um ihn im Anschluss daran doch am Werturteil des Vaters scheitern zu lassen. Zurück bei Trump Management erfuhr Freddy weitere Demütigungen bis er schließlich über seine – aus diesen Erlebnissen entwickelte Alkoholsucht – mit Zweiundvierzig starb, Frau und zwei Kinder hinterlassend, darunter Mary L.
Donald J., acht Jahre jünger, stand diese Entwicklung warnend vor Augen. Statt sich den Ansprüchen des Vaters früh zu fügen, ging er einen anderen, wahrscheinlich den einzig möglichen Weg. Er brach jede Regel, setzte sich über alles hinweg, gehorchte seiner Mutter nicht mehr, bis er schließlich auf eine Militärschule verbracht wurde, auf der er Schliff in Sachen Gehorsam und Ordnung lernte. Doch daheim blieb es bei allen Übertretungen und Regelbrüchen. Hinzu kamen Mobbing, immer ausgefeilteres Opferprofiling. Mit Boshaftigkeit und Häme setzte er diese der öffentlichen Scham aus und brüstete sich zugleich sozialer wie intellektueller Überlegenheit. Die eigene Angst, vom Vater zurückgewiesen, allein und ungetröstet im Leben zu scheitern, prägten den Jungen von Kindesbeinen an. Fred war für derlei Sentimentalitäten weder zu haben, noch konnte er seine Freizeit dafür opfern. Doch auch die Mutter fiel dafür aus, zu oft und zu lange war sie krank. Und hier spielte Sozialisationsperformance noch eine wesentliche eine Rolle: Loyalität. Sie, aus bescheidenen schottischen Verhältnissen stammend, war in ein Leben voller Luxus geraten. Aber auch eines der emotionalen Kälte und Ablehnung. Im Grunde war sie für Fred Mittel zum Zweck: den Thronerben sichern. Über Fred schreibt die Autorin: „Liebe bedeutete ihm nichts, Mitgefühl für ihre (der Kinder) Nöte konnte er nicht aufbringen … Er erwartet Gehorsam, basta.“ Die Sorge, das eigene Leben zu verlieren, wenn die Eltern abwesend sind, sich höchstens formal kümmern, sie deformiert auf Dauer eine Kinderseele.
Donald erschaffte sich Persönlichkeitszüge (aggressives Auftreten, Großmannssucht, narzisstische Selbstbezogenheit), die bei seinem Vater Aufmerksamkeit erzeugten, je mehr sie ausuferten. Obwohl Fred selbst nicht der große Kommunikator war, scheint ihm die Anerkennung der Stadtelite New Yorks wichtig, er fördert deshalb Donald auch dann noch, als dessen Unfähigkeit erfolgreiche und nachhaltige Geschäfte zu machen, immer offenkundiger wird. Millionen Dollar kosten seine Abenteuer inzwischen. Mit dem Einstieg ins Casinogeschäft in Atlantic City verschärft sich das. Fred, inzwischen nicht mehr beschützend an seiner Seite, wird durch Banken und Konsortien abgelöst, die die Wünsche Donalds bedienen – bis ihnen aufgeht, dass sie mit dem eigenen Kopf auf dem Schlachtbock liegen. Viele ziehen sich zurück. Die Deutsche Bank bleibt und ist noch bis 2024 gebunden. Man schafft ein Sicherheitsnetz: Eine Apanage für den späteren Präsidenten soll den Schein wahren, Geschäfte so gut wie möglich abwickeln lassen. Doch Trump ist als Hasardeur verschrien, viele kleine Geschäftsleute gehen durch seine Rücksichtslosigkeit in die Pleite. Kurz davor ins Bodenlose zu stürzen, entdeckt ihn der Produzent Mark Burnett für The Apprentice. Er macht ihn zum ruchlosen Star der Show und bietet Trump damit jene Bühne, von der aus er den Angriff auf die GOP starten kann. Eine letzte Nummer, um dem drohenden Totalverlust seiner Finanzen zu entkommen. Das Ergebnis ist bekannt.
Mary L. Trump schildert das Zusammenwirken sowohl in der Finanzwelt für die Geschäfte als auch im politischen Kontext als Netzwerk von Profiteuren mit eigener Agenda, die sich aber selbst in diesem Netz verfangen, nicht mehr rauskommen und drohen darin zu ersticken. So sind sie auf Gedeih und Verderb ihrem Protagonisten ausgeliefert, müssen ihn schützen, um sich selbst zu schützen, selbst noch im Moment des Angriffs auf das Kapitol. Die Macht, die Trump inzwischen über die Partei hat, sie lässt viele ängstlich erschaudern, denn die vielen Millionen Wähler dieses Mannes könnten sie in Wahlen (in zwei Jahren) gnadenlos hinwegfegen.
Fazit: Ein erschütterndes und aufrüttelndes Buch aus dem Inneren eines Mannes, der die Welt an den Abgrund führte, überlebte und noch nicht gebannt scheint. Ein Blick auf Gesellschaftsprozesse, die eine Gesellschaftsordnung stürzen und ein faschistoides System vorbereiten könnten. Sie sind nicht weit weg. Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, hier sind sie ein realer Bestandteil des politischen Prozesses geworden, zumal es Menschen gibt, die Willens und in der Lage sind, dies für sich zu instrumentalisieren. Damit ist letztlich ein Aufruf an alle Demokraten verbunden: Demokratie ist immer das Geschäft aller! Unser aller Geschäft. Mischen wir uns ein.
Ingo-Maria Langen, Februar 2021