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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Zölibat

Hubert Wolf
Zölibat 16 Thesen

C.H. Beck München 2019
190 Seiten TB 14,95

Zusammenfassung:

In 16 kurz gehaltenen Kapiteln entwickelt Hubert Wolf, Priester und Kirchenhistoriker an der Universität Münster, Leibniz-Preisträger, einen in sich schlüssigen Argumentationsrahmen, warum es weder historisch noch theologisch oder kirchengeschichtlich zwingend ist, am Zölibat festzuhalten. Gerade in Zeiten, die von großem Bindungs- und Glaubwürdigkeitsverlust geprägt sind, wäre ein Abschied vom Pflichtzölibat nötig und richtig. Der ließe sich darüber hinaus auch einfach umsetzen.

Hubert Wolf, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität von Münster, forscht u.a. zu den Archivbeständen der Inquisition und der päpstlichen Indexkongregation. Mit seinem Sachbuch „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“ (2013) publizierte er einen Klosterskandal Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Buch „Krytpa. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte“ (2015) legte er bislang unbekannte Traditionsstränge der katholischen Kirche frei.

Der Wechsel im Pontifikat von Benedikt XVI zu Franzikus verband sich für viele Gläubige die Hoffnung auf den Beginn einer kaum je dagewesenen Reformära. Insbesondere nach der harschen päpstlichen Schelte der Kurie zu Weihnachten 2014 und später nochmals 2017, in denen er von Verrätern im Amt sprach, von Klerikalismus, Sklerose und anderem mehr, schien sich die Erwartung zu konkretisieren, dass dieser Papst endlich Ernst machen würde mit überfälligen Reformen. Leider hat sich nicht sehr viel getan. Mit dem letzten Brief aus diesem Jahr an die deutschen Bischöfe stellt Franziskus klar: es soll Reformen geben, aber nicht um ihrer selbst willen. Auf der Agenda: Freistellung des Zölibats, Ordination der Frauen, Anerkennung der homosexuellen Beziehungen, Leitungsmacht der Kirche neu organisieren. – Da kommt das Buch von Hubert Wolf zum richtigen Zeitpunkt. Wenn es denn in Rom gehört, sprich gelesen und beherzigt würde! Davon ist leider nicht auszugehen. Die konservativen Beharrungskräfte in der Kirche sind noch immer mächtig. Und diesen sind Reformvorschläge wie diejenigen Wolfs ein Dorn im Auge.

Strahlender Edelstein?

Lange Zeit galt der Zölibat als „strahlender Edelstein“, der den Priester durchaus ein klein wenig aus dem irdischen Dasein in eine besondere geistliche Angebundenheit führte. Das zölibatäre Leben nötigte den Gläubigen Respekt ab vor einer Askese, die für die meisten persönlich nicht vorstellbar war. Zusammen mit einem herausgehobenen Amtsverständnis war der Priester damit eine außergewöhnliche Person. Zwar gab es immer auch skeptische Theologen, die hieran Kritik übten, doch diese wurden schnell als ‚abgefallene Priester‘ denunziert. Der Zölibat wurde nicht diskutiert und basta. Doch die damit verbundenen Themen wie Priesterfrauen, Priesterkinder und in der jüngsten Vergangenheit eben (leider) auch die Missbrauchsfälle in der Kirche führten dazu, dass eine breite Öffentlichkeit sich damit auseinandersetzte. Gerade die Dimensionen der (weltweiten) Missbrauchsfälle lösten eine grundsätzliche Diskussion über die katholische Kirche und ihre Machtstrukturen aus. Hier setzt das Buch Wolfs zu einem Kernthema an.

Der lange Weg zum Tabubruch

Noch im Nachgang zum zweiten Vatikanum gab es unter den deutschen Bischöfen eine rege (kontroverse) Diskussion um eine Liberalisierung des Zölibats. Damals sprachen Kenner bereits von einer veritablen personellen Notsituation, in der es auch möglich sein müsse die „viri probati“ zum Priesteramt zu berufen. Verheiratete Männer, Theologen zumal, die anstelle eines Priesters die Eucharistie für die Gemeinde feiern könnten. Gerade dieses Hochfest der Liturgie ist für die Gläubigen die Quelle spiritueller Kraft und Erneuerung in Gott. Kann die Messe nicht mehr gefeiert werden, stirbt alles katholische Leben. Doch Paul VI, immerhin Herr des Konzils nach dem Tod Johannes XXIII, verbat die Diskussion, selbst die Laien durften darüber nicht sprechen. Damit diese Kritik auch wirklich verschwand, griff Rom zu einer Radikalkur und wechselte den gesamten Episkopat aus, um ihn mit Zölibatsverteidigern zu ersetzen. Johannes Paul II knüpfte an die Linie seines Vorgängers bruchlos an, allerdings überhöhte er den Zölibat zusätzlich spirituell als geistlichen „Schatz“. Einwände gegen die Ehelosigkeit wies er mit der Kraft seines Amtes als dem Evangelium, der Tradition der Kirche sowie dem Lehramt fremd zurück. Die Mauern des Vatikans bestehen auch aus Dikta, Schweigen und Tabu. – Doch die eingetretene System- und Strukturkrise der Kirche zwingt diese von verschiedenen Seiten den Problemen zu begegnen. Der Zölibat ist nur eines, aber ein solches, das derzeit im Fokus steht.

Kirchengeschichte und Zölibat

Aus historischer Perspektive streiten zwei Denkrichtungen miteinander: die eine bezieht sich darauf, dass der Zölibat eine Bedingung für das Apostelamt gewesen sei, mit der Folge einer unverzichtbaren Voraussetzung zur Übernahme kirchlicher Ämter. Die gegenteilige Ansicht verweist darauf, es handle sich um eine rein disziplinäre Vorschrift, die erst spät aufgekommen sei und kein Junktim für die kirchliche Amtsausübung begründe. Entscheidend ist nun die Quellenlage: die Bibel und die apostolische Tradition. Während wir im ersten Fall eine verschriftliche Quelle haben, ist es im zweiten Fall zunächst eine orale Tradition, die erst spät zu schriftlichen Zeugnissen fand. Die Ausgangslage für den Zölibat ist mithin eher schwach. Gesetzt, das letzte Abendmahl begründet die Eucharistiefeier (was nicht unumstritten ist – zuletzt: Halbfas, Kurskorrektur, 70ff.), so lässt sich nach derzeitiger, historisch-kritischer Erkenntnis nicht feststellen, dass die Apostolische Sukzession in der Form des Zölibats begründet wurde. Aus dem historischen Umfeld des Judentums neutestamentlicher Zeit ist das jedenfalls ausgeschlossen. Es fehlen mithin Zeugnisse, die ein Junktim begründen könnten. Deshalb ist mit Wolf davon auszugehen, dass der Pflichtzölibat keine Vorbedingung für kirchliche Ämter bedeuten konnte, was zur Konsequenz hat, ihn jederzeit aufheben zu können.

Anknüpfung an die Antike

Die bereits erwähnte spirituelle Überhöhung durch Paul VI und Johannes Paul II bezieht sich auf Vorbilder aus der klassischen Antike. Die kultische Vorstellung, nur mittels ‚reiner Hände‘ die Eucharistie vollziehen zu können, drückt sich genauso im Hochgebet der Heiligen Messe aus. Hinter dieser Reinheitsvorschrift steht die Überlegung, der Priester dürfe keinesfalls ‚befleckt‘ diese Handlung vornehmen. Unreinheit entsteht besonders im Zusammenhang mit Sexualität. Gleich ob der Samenerguss des Mannes oder das Menstruationsblut der Frau, jeder noch so geringe Bezug zur Sexualität muss für den Priester ausgeschlossen sein. Die kultische Reinheit ist damit Grundlage für die spirituelle Überhöhung des Zölibats. Doch im Gegensatz zu diesen archaischen Vorstellungen, bezieht sich der historische Jesus nicht auf Äußerlichkeiten kultischer Reinheit, sondern auf die Reinheit des Herzens und damit auf die sittlich-ethische Haltung eines Menschen. Die Anknüpfung an einen vermeintlichen Kultus im frühen Christentum ist aber auch sachlich falsch, dem Christentum waren kultische Opfer von Anbeginn an fremd, folglich brauchte es auch keinen Opferpriester. Allerdings gab es immer wieder Versuche dazu; etwa die irischen Bußbücher aus dem sechsten Jahrhundert, denen es darum ging, die Vorschriften des Neuen Testaments im kultischen Sinne umzuinterpretieren. Damit kam man dem jungfräulich reinen Priester sehr nah. Doch diese Versuche sind eine Traditionserfindung, wie Wolf schlüssig darlegt. Trotzdem war die Kirche etwa nach der radikalen Umwälzung durch die Französische Revolution gezwungen, sich stark gegen den säkularen Staat abzugrenzen, um überleben zu können, was aus damaliger Sicht hieß: die Kirche muss desto heiliger werden.

Lösung des Pflichtzölibat löst die Systemkrise nicht

Hubert Wolf arbeitet präzise heraus, dass der Pflichtzölibat nicht zur Wesensgrundlage des Priesteramts gehört, infolge dessen auch nicht zur Bedingung für die Ordination gemacht werden sollte. Als einfache kirchengesetzliche Regelung ließ er sich freiwillig stellen. Die Aufhebung dieses Junktims würde darüber hinaus auch den Erkenntnissen des Zweiten Vatikanums Rechnung tragen, das ausdrücklich festgestellt hat: Der Zölibat ist zwar die dem Priester angemessene, keineswegs aber von seinen Bedingungen her notwendige Form zur Ausübung des Vorsteherdienstes der Gemeinde. Gleichwohl: Die Aufhebung der Koppelung von Weiheamt, Zölibat und Eucharistie würde nur an diesem Punkt Entlastung schaffen (viri probati). Doch die Systemkrise der katholischen Kirche geht tiefer. Wie können wir heute noch glauben, der Ausschluss von Frauen von der Ordination sei sach- und zielangemessen? Wie können wir weiter daran festhalten, systemtheoretisch relevante Erkenntnisse zu Machtstrukturen in der Kirche zu ignorieren, zu unterstellen, weibliche Führungskräfte ‚störten‘? Wie können wir homosexuelle Lebensgemeinschaften weiter exklusiv ignorieren oder sogar aus der Kirche entfernen (d. Verf.: siehe Krzysztof Charamsa – Der erste Stein)? Wie können wir uns davor verschließen, dass auch Organisationen lernen müssen? Etwa durch die Einführung einer (unabhängigen) Verwaltungsgerichtsbarkeit? Für den Entwurf des Codex Iuris Canonici (Kirchengesetzbuch) 1983 war diese vorgesehen, wurde aber von Johannes Paul II gestrichen. Eine gewisse „Demokratisierung“ wie die Aufhebung des Anklägers und Richters in Personalunion, das Fehlen von klagbaren Rechten, würde helfen. Dabei spricht Wolf auch die Überlegungen der Reformkommission zur Einführung des CIC von 1917 an: Damals gingen die Bearbeiter selbstverständlich davon aus, dass ein verheirateter Mann um die Weihe bitten kann. Doch im Verlauf der Gesetzgebung wurden solche Überlegungen auf Betreiben des Kardinalstaatssekretärs Pietro Gasparri entfernt. Er war der Meinung, hier müsse man entschieden mit der Tradition brechen: Priesterweihe gleich Ehehindernis, Ehe gleich Weihehindernis. Dazu regt Wolf an, das Fallrecht des ersten CIC heute wieder neu in den Blick zu nehmen, um Einzelfallbedingungen angemessener entscheiden zu können.

Fazit:

In der katholischen Kirche ist viel in Bewegung, besonders in Deutschland. Hubert Wolf hat mit seinem Thesen-Buch einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion geleistet. Nicht nur im persönlich-menschlichen Bereich des Priesters, sondern auch gerade auch in systemischer Hinsicht. Die notwendige Lernkurve der Kirche steht zu diesen (und anderen) Themen noch am Beginn der Entwicklung. Es bleibt zu hoffen, dass dieser kluge wie auch praktikable Einwurf in der Diskussion von vielen (in Rom und anderswo) gelesen und gehört wird.

Ingo-Maria Langen,
August 2019