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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Vom Ende der Klimakrise

Luisa Neubauer
Alexander Repenning
Vom Ende der Klimakrise
Eine Geschichte unserer Zukunft

Tropen
J.G. Cotta’sche Buchhandlung
Stuttgart 2019
303 Seiten 18.- €

 

Luisa Neubauer, (*1996), im Organisationsteam Fridays for Future, schreibt über Zukunftsfragen und Klimaschutz, machte 2018 bei der UN-Klimakonferenz die Bekanntschaft mit Greta Thunberg, studiert Geografie.

Alexander Repenning, (*1989), engagiert sich für politische Partizipation, globales Lernen und Klimapolitik. Er arbeitet für die Right Livelihood Foundation (Alternativer Nobelpreis) daran, Wissenschaft und Aktivisten besser zusammenzubinden.

 

Das Märchen (der Wohlstandgesellschaften des Westens) ist aus!

Wie lange haben wir eigentlich dieses Märchen geträumt? Vom glücklichen Leben (Seneca) einer konsumbasierten Gesellschaft, deren höchstes Gut der Ressourcenverbrauch ist? Wie lange haben wir das Glück des Einzelnen propagiert ohne das Glück der Gemeinschaft zu berücksichtigen? Warum haben wir verlernt, das Glück für beide im Denken, im Diskurs zu finden? Weil die Macht der Wirtschaftsmaschine uns über siebzig Jahre mit ihren Verheißungen die Sinne vernebelt. Ganz im Interesse der Sachwalter des neoliberalen Wirtschaftsmodells, das sich hierzulande (mit großen Abstrichen) „Soziale Marktwirtschaft“ nennt. Das Märchen ist aus. Wir werden neue Modelle des Wirtschaftens erarbeiten müssen, auch jenseits der „Neuen Politischen Ökonomie“, die etwa das „Rent-Seeking“ als einen Faktor der Beeinflussung von Amtsträgern gegen das Gemeinwohl ausgemacht hat. Doch das Thema der Dekarbonisierung wird die klassische Volkwirtschaftslehre massiv umkrempeln. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein. Die Ungleichheitsforschung (etwa Piketty: Das Kapital im 21. Jh.) zeigt jedoch eine extreme Verlagerung auf eine kleine Schicht, die mit ihren Entscheidungen das Wirtschaftsgeschehen für alle stark beeinflusst. Dazu führen Neubauer / Repenning u.a. die globalen Konzerne der Öl- und Gaswirtschaft an, die schon in den 1970er Jahren großangelegte (interne) Studien zur Folgenabschätzung ihres Handels erstellen ließen. Die Ergebnisse wurden unter Verschluss gehalten, denn sie deuteten auf jene Krise hin, in der wir nun stecken. Zudem gingen die Konzerne dazu über, ihr Wirtschaften zu verschleiern, Gegenpositionen durch die aufkommende Ökobewegung in den Achtzigern zu diskreditieren und letztlich die kaum mehr leugbaren Fakten zu verharmlosen. Jedem dürfte inzwischen klar sein, wie verheerend unsere Lebensform ist. Nicht zuletzt Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika Laudato si‘ seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht. Bereits im Jahr 1973 schrieb der britische Ökonom Ernst Friedrich Schumacher seinen Weltbestseller „Small is beautifull. A Study of Economics As if People Mattered“. Es liest sich heute wie eine Vorausdeutung auf unsere Zeit, ein must-have in der Klima-Debatte. Auf den Punkt gebracht: Schumacher zeigt, dass technologische Innovationen oder institutionelle Arrangements nie hinreichend sein können, was umgangssprachlich „nachhaltig“ genannt wird.

Sind wir noch zu retten?

Die Berlinale 2019: Der australische Filmemacher Damon Gameau zeigt 2040 – Join the Regeneration. In der anschließenden Publikumsbefragung meldet sich ein Junge aus der achten Klasse. Mathe sei sein Lieblingsfach, Schiffbauer wolle er werden. Mit Blick auf seine Zukunft sagt er: „Weißt du, das sieht schön aus. Aber es ist Fantasie. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass wir noch zu retten sind. Ich glaube, es wird einfach immer schlimmer. Ich habe Angst.“ Ein bedrückendes Erlebnis. Das (junge) Publikum nickt zustimmend. So überraschen auch die Fakten und Zahlen nicht: machen wir so weiter wie bisher, wird der Planet ab 2050 unbewohnbar. 2100 erreichen wir (mindestens) 2,7 bis 3,0 Grad plus. Extinct Level Event könnte man so etwas nennen. Rasantes Artensterben, extreme Erhitzung er Ozeane (über 30 Grad), Verlust der Korallenriffe, Bedrohung aller Küstenstädte, Extremwetter, Hungersnöte oder Überschwemmungen gigantischer Ausmaße. Nachzulesen im „Existential climate-related security risk: A scenario approach“ von David Spratt und Ian Dunlop, Mai 2019. Dystopien sind  in der Belletristik derzeit nicht so gefragt; doch die Forscher weltweit sind sich ziemlich einig. Es wird so kommen, wenn nicht entschlossen gehandelt wird. Jetzt!

Die von Neubauer / Repenning geschilderte Geschichte von Nauru, einem Inselstaat im Pazifik, ist paradigmatisch für den westlichen Lebensstil. Über den Phosphatabbau zu enormem Reichtum gekommen, begann die Gesellschaft sich unserem Konsumverhalten anzugleichen und büßte schlussendlich fast alles wieder ein, als die Phosphatvorkommen ausgebeutet waren. Heute ist der kleine Inselstaat auf die Nachbarn angewiesen, um überleben zu können: „Die Geschichte von Nauru erzählt auch von kolonialer Ausbeutung, geopolitischen Machtkämpfen und individueller Bereicherung auf Kosten des Gemeinwohls.“

Das Anthropozän

Die Autoren zitieren einen SPIEGEL-Artikel aus 1986: „Überraschend war die Katastrophe nicht gekommen. Wissenschaftler hatten beizeiten gewarnt (…) Schließlich hatten sogar die Politiker den Ernst der Lage erkannt – zu spät: Das Desaster, der weltweite Klima-GAU, war nicht mehr aufzuhalten. Jetzt, im Sommer 2040, ragen die Wolkenkratzer New Yorks weit vor der Küste wie Riffs aus dem Wasser…“ Aufgegriffen hat das 2013 der Autor Nathaniel Rich in ‚Schlechte Aussichten‘ (Klett-Cotta). Bestätigt durch immer präzisere Wissenschaft 2019. Das Menschenzeitalter ist die Ursache. Hierbei gilt es zudem zu unterscheiden: reiche Länder wie Deutschland, die USA, Australien, haben einen historisch größeren Anteil an der Verschmutzung und damit auch einen solchen in der Verantwortung! Wir sehen gerade, wie kläglich sie dem nachkommen. Und der Handlungsspielraum wird immer kleiner: 350 Gigatonnen. Wird diese Restgröße überschritten, nimmt die Welt Schaden, der nicht mehr zurückgenommen werden kann!

Wir müssen ein Narrativ entwickeln

Die öffentliche Bewusstseinsbildung ist zwar stetig gestiegen, das Thema Klimakrise bekannt. Was fehlt ist eine Geschichte, die veranschaulicht, was passiert, wenn wir nicht handeln. Aber es muss auch eine Geschichte sein, die erzählt, wie wir das Schlimmste noch verhindern und sogar zu einem Leben finden können, das uns erfüllt, vielleicht sogar glücklich macht. Neben das Schadens-Narrativ muss das Überlebens-Narrativ treten, einen Ausweg skizzieren, der nicht nur machbar, sondern lohnenswert erscheint. Hier reden wir über KUNST! Warum? Weil wir alle verfügbaren Medien brauchen, um das Bewusstsein zu schärfen, dass und was wir tun können. (Beispiel: The Madhouse Effect: How Climate Change Denial Is Threatening Our Planet, Destroying Politics, and Driving us Crazy, by Michael Mann and Tom Toles, Columbia University Press, 2018) Deshalb fordern Neubauer / Repenning ausdrücklich auf, sich zu informieren, miteinander zu reden, Veranstaltungen zu besuchen, sich zu organisieren und politischen Druck auszuüben. Denn bislang zeigt die Politik sich unbeeindruckt. Wenn die großen Unglücke geschehen, ist es aber längst zu spät! Wir müssen JETZT handeln, denn es braucht Vorlauf. Brechen die ersten sogenannten „Kippunkte“, können wir keinen davon zurückholen. Keinen. Punkt.

Der Appell lautet daher an uns alle: bringt euch ein mit eurer Kreativität, eurem Bewusstsein, euren Handlungsmöglichkeiten. Viele kleine Hände schaffen ein Großes.

Was fehlt: Visionen werden nur spärlich angedacht, Ergänzungen über die volkwirtschaftliche Gesamtrechnung hätten die Tragweite deutlich erhöht und die Notwendigkeit unterfüttert, ressourcenarmes Wirtschaften zu entwickeln. Woher kommen dann die Einkommen, wie werden sie erzielt, woran werden „neue“ Preise gemessen? Die Einsichtsfähigkeit (und)–willigkeit der Menschen hängt sehr davon ab, was an Perspektive „geboten“ wird. Denn klar ist auch: die Masse macht sich keine Gedanken. Das ist zu anstrengend. Und da liegt ein Haken: Neue Ökonomie wird davon leben, Talente zu heben, Findigkeit und Pioniergeist zu kultivieren. Darauf sind unsere (satten) Gesellschaften nicht vorbereitet. Verlagsseitig zu bemängeln: die „Hervorhebung“ diverser Passagen in so schmalen Lettern, da kann mancher Leser vor Anstrengung das Buch nicht in Ruhe lesen, weil er sich schlicht immer wieder ärgert!

Fazit: Ein mutiges Sachbuch, gut zu lesen, versehen mit den notwendigen Nachweisen (wissenschaftlicher) Fakten. Es soll wachrütteln, zum Nachdenken (auch über sich selbst als Leser) anregen und zum Mitmachen anstacheln. Zielgruppe sind wir alle, denn wir haben nur dieses Zuhause namens Erde. Doch wir leisten uns lieber Kriege, ungeheure Anstrengungen zur Ausbeutung der Tiefsee (Arktis) – und zerstören weiter. Sind wir noch zu retten?

Ingo-Maria Langen, Oktober 2019