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Via Conci
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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Theater der Macht

Karl-Joachim Hölkeskamp
Theater der Macht

Die Inszenierung der Politik in der römischen Republik

C.H.Beck, München 2023

710 Seiten, € 48.-, geb.
Ein Vorsatzbild, ein Nachsatzbild
Diverse Abbildungen und Karten (sw)

Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung

Topografie des öffentlichen Raums: Syntax und Tradition

Etwas oder Jemanden in Szene zu setzen erinnert uns zunächst durchaus zu Recht an eine Dramaturgie auf der Theaterbühne. Bei Proben werden wir Zeuge von minutiös einstudierten Rollen, Handlungsaufbau, der Choreografie und Interaktion der Schauspieler. Die Regie als unsichtbarer Leitfaden, der die Illusion eines spontanen Ablaufs und zufälligen Gefüges vermittelt, das gerade so auch unter uns in unserem persönlichen Lebenskreis stattfinden könnte. Wollten wir auf einen Klassiker blicken, so ist Shakespeare ein Dichter, der die große Kunst des Welttheaters (mit Wirkung bis ins Heute und Morgen) beherrscht. Doch auch in der Antike, der er ja viele Stücke als verklausulierte Emblemata (inscriptio, pictura, subsriptio) widmete, treffen wir auf Dichter, deren hic rhodus, hic salta dem Publikum eine Vorstellung davon geben konnte was gute von schlechter Politik unterschied oder auch mit dem Blick auf jeden Einzelnen, was er persönlich dem Gemeinwesen schuldet, über das er nur klagt. Aristophanes (bei den Griechen) oder Juvenal, Ennius oder Gaius Lucilius stehen dafür. Akteure wie Publikum (als Aktor) sind in einer Klammerfunktion eingeschlossen: es ist in Bezug auf die Gesellschaft immer beides, was wir betrachten müssen.

Aufgeregte Debatten, (gespielte) Empörung, Appellationen, Gerichtsprozesse und -entscheidungen, sie finden auf öffentlicher Bühne statt, geben den Akteuren Raum sich performant zu profilieren, das Auditorium zu gewinnen, rhetorisch zu blenden und politisch zu manipulieren. Bei Marcus Tullius Cicero können wir dazu nachlesen. Aufgeregte Debatten, empörte Wutbürger, verschwörungsgeneigte Bürger, die gefühlte Fakten zu realen Beweisen erklären, betreten auch heute die öffentliche Arena. Diese Erscheinungen sind in der Antike ebenso bekannt, wir begegnen ihnen im ersten sowie im zweiten Triumvirat. Das Patriziat unter Augustus band diese jedoch systematisch ein, versuchte Strömungen zu antizipieren und dieses zu glätten oder zu eliminieren. Als wesentliches Strukturmerkmal dafür bot sich die Rolle des „Impresario“ an: Mit Rückgriff auf Praktiken und Traditionen der römischen Politik und dem spektakulären Verweis darauf, die res publica restituta vorzubereiten, trat Augustus zugleich als Princeps und Erster Bürger auf. Die politische Symbolik solcher Auftritte bei Versammlungen oder Pompae schuf ein Integrationsmoment. Die Bürger Roms konnten sich dahinter versammeln, sich damit identifizieren, Zusammenhalt finden und Teilhabe am Großen und Ganzen Roms fühlen. Dieses (künstliche) Zusammengehörigkeitsgefühl maß sich an kleinen Punkten (etwa Gerichtsprozessen) ebenso wie an Feldzeichen für die Schlacht oder hernach im Triumphzug. Versprechen auf die Zukunft und Handgaben im Hier und Heute bildeten das Surplus zu Brot-und-Spielen. Die Identifikationssymbole, von der Elite kreiert, wurden nach unten bis auf die Plebs durchgereicht und ließen diese so an der Größe Roms „teilhaben“. Für die meisten bedeutete diese Teilhabe nur der Traum von Rom als Idee, zart und fluid, leicht konnte er verfliegen, sprach man nur etwas zu laut davon.

Carrus Soli

Geschickt vermittelt Hölkeskamp auch eine eigene Verschachtelung: Die mit „Seitenblick“ auf den ersten Blick unscheinbaren Einschübe zur Entwicklung der (Vor)Moderne (in Teilen durchaus pars pro toto) für Europa als komparatistisches Element (höfischer / ständischer) Herrschaftsemblematik zeigen die Verdichtung (ganz im Sinne Clifford Geertz) auf, in der mit öffentlichen Aufzügen etwa der „procession générale“ in Montpellier um die Mitte des 18. Jahrhunderts die hierarchische Ordnung performant der Öffentlichkeit zur Schau gestellt wurde: die Selbstvergewisserung dieser Macht anhand von Symbolen und festgelegten Abläufen signalisierte das Gesellschafts- und Staatsverständnis jener Zeit. Der Klerus vorweg (in strenger aufsteigender Ordnung bis hin zum Bischof), dienend dem Realsymbol der Hostie und damit eine „spezifische Realsyntax“ (Hölkeskamp) ausbildend, in der Folge Adel und Bürgertum, ausgreifend bis in die Ränge der Zunftmeister. Örtliche Amtsträger, Ratsherren oder Magistrate, sie alle traten in konkreter Abfolge, mit genau zugehörigen Oranten, in absteigender „dignité“ und „qualité“ auf. Bereits unter Ludwig XIV hatte auf dem ‚Place du Carrousel‘ (noch heute so genannt) vor dem Louvre 1662 das spektakuläre Fest des Sonnenkönigs „La Grande Caroussel“ den Auftakt für eine Tradition gesetzt, in der sich die Ableitung des Königs und seiner Macht von Apoll und dessen Himmelswagen ausdrücken sollte. Und das durchaus mit außenpolitischer Intention: hier bekräftigte ein unvergleichlicher König seinen Anspruch auf Vorrang und Suprematie, überliefert im Bonmot, er sei durchaus geeignet (und in der Lage) auch noch andere Staaten zu regieren, ganz so wie die Sonne auch andere Welten erhelle – eine grundsolide Selbstüberzeugung.

Gleichwohl sollte die Französische Revolution das Althergebrachte in einer Weise vernichten, die bis dato undenkbar erschienen war. Lynn Hunt hat in „Symbole der Macht – Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur“ (2016) darauf hingewiesen, dass dieses Ereignis nicht nur Gradmesser für einen sozioökonomischen Umbruch, sondern zugleich den Auftakt zur ‚politischen Kultur‘ und der ‚Kaste der Politiker‘ darstellt. Die uns bei Hölkeskamp begegnenden emblematischen Symbole (Feste, Kleider) zeigen die „Sprachen der Macht“ und das sich darin spiegelnde Selbstverständnis der politischen Akteure. Vom Aufbruch bis zum Instrument der Disziplinierung begründete eine neue politische Symbolwelt und politische Rhetorik eine politische Kultur, deren Wesenszüge uns noch heute begegnen.

Syllogistisches Paradigma als Staats(funktions)prinzip Roms

Mittels der Prämisse der Selbstähnlichkeit, kombiniert mit der Tradition der generationalen Repräsentation von historischer Klasse und politischer Größe wurde eine nobilitierte Herrschaft postuliert. Die als Selbstähnlichkeit definierte Nobilitierung erzeugte über einen Prozess der Rekursion zur Verschachtelung und deren Varianten ein kleines harmonisches Labyrinth (Douglas R. Hofstadter GEB), das letztlich wieder auf sich selbst verweist. Dieses selbstreferenzielle System erreichte unter Augustus (später bei Tiberius) seinen weitesten Entwicklungsstand, bevor es in der spätrömischen Zeit langsam erodierte.

Hölkeskamp gelingt ein Panorama der Funktionsprinzipien Roms und ihrer Nachläufer in Europa, die unsere politischen Muster bis heute grundieren. Immer wieder suchen wir nach Narrativen für politisches Handeln, um größtmögleiche Legitimation (außerhalb des legislativen Prozesses) zu generieren. Die Empörungsbotschaften unserer Tage unterscheiden sich nur insoweit von Roms antiken Tagen, als dass sich heute mit einem Klick und spontan hunderttausende Likes generieren lassen. Wir erleben ein invertiertes Verhältnis von Öffentlicher Meinung in Relation zum Regierungshandeln, das von wenigen ‚Meinungsführern‘ in kürzester Zeit die Mehrheit (scheinbar) dominiert.

Das mit viel Liebe zum Detail und Aufwand in der verlegerischen Arbeit vorgelegte Werk verfügt über Sach- und Namensverzeichnis, Glossar, Literatur- und Quellenverzeichnis mit umfangreichem Apparat und weiteren Nachweisen. Stil und Lesbarkeit sind dem Gegenstand mehr als angemessen, wenngleich es Zeit erfordert, sich auch die aufgezeigten Querverbindungen in all ihren Konsequenzen zu erschließen. Das bleibt aber ein einträgliches Unterfangen.

Ingo-Maria Langen, Oktober 2023