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Via Conci
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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Römisches Finale

Natasha Korsakova
Römisches Finale
Ein neuer Fall für Commissario di Bernardo

Heyne
München 2019
380 Seiten 12,99.- €

Zusammenfassung:

Der Einsatz kommt für Commissario di Bernardo ungelegen. Gerade beschäftigt ihn noch der Mord an einem Nigerianer an der Spanischen Treppe, da beordert ihn sein Chef, Qustore Borghese, in den Parco della Musica. Eine Autobombe vernichtet bei seiner Ankunft alle verwertbaren Beweise, die Forensik ist zwar eindeutig, doch weder Motiv noch Täter in Sichtweite. Und dann noch das: das Opfer war mit den höchsten italienischen Kreisen verbandelt. Ein Fall, der auch einen Commissario getrost zu Fall bringen könnte.

Natasha Krosakova,

Natasha Korsakova, russisch-griechischer Abstammung, ist eine international konzertierende Violinsolistin. Sie war „Künstlerin des Jahres“ in Chile und Italien. Sie spielt gemeinsam mit internationalen Künstlern, etwa 1998 mit Mstislaw Rostropowitsch oder Gidon Kremer. In Rom hat sie vor Papst Benedikt XVI mit ihrem Lebensgefährten, dem Violinisten Manrico Padovani, in der Sala Nervi musiziert (2011). Natasha Korsakova kam mit 19 Jahren nach Deutschland und hat sich sofort in die deutsche Sprache verliebt, die sie heute (neben vier weiteren Sprachen) fließend beherrscht. Sie lebt im Süden der Schweiz. Immer wieder ist sie auch in Rom, dem Schauplatz ihrer Kriminalromane.

Sie können die Duchessa doch nicht als Signora anreden!

Commissario di Bernardo, ein waschechter Apulier aus Lecce, der klassizistischen Perle nahe der westlichen Adriaküste, ganz im Süden Italiens, verantwortet auch die zweite Ermittlungsarbeit in der Musikszene im Herzen Roms. Die langsame Eingewöhnung in die ja nun nicht mehr ganz so neue Umgebung fühlt der Leser der Figur nach: ihre Unsicherheit, die noch zu entwickelnden Wurzeln, das fremde Kolorit der Stadt. Und natürlich auch – so gehört es sich ganz einfach für Italien und die Italiener – die Unwägbarkeiten der Liebe. Nur gut, dass Alberto, di Bernardos Sohn, bei ihm lebt, ihn emotional stützt, obwohl er selbst die ersten flüchtigen Erfahrungen in Sachen Liebe vor dem Abitur erfährt. Schließlich ist auch ein guter Freund nicht weit, Dioniso di Bernardos Ispettore, Roberto del Pino, ein Stenz wie aus dem Buch, aber eben auch eine Stütze für seinen Chef und mit einem guten Draht zu Alberto. Der Vorgesetzte von di Bernardo, Questore Borghese, nicht immer ein Zuckerschlecken für den Commissario, aber doch eine verlässliche Größe im kunstvollen Politspiel zwischen Questura, Politik und römischer Gesellschaft. Gerade darauf würde es im vorliegenden Fall besonders ankommen, reichen die Ermittlungen doch bis nach „ganz oben“ in höchste (Adels)Kreise. Zum Leidwesen di Bernardos und seines (scheinbar) obsessiven Chefs ist zusätzlich noch der Vatikan in Gestalt eines Monsignore involviert. Mithin ein gesellschaftlicher Alptraum.

Der Starpianist Emile Gallois wird tot in seiner Garderobe aufgefunden. So gewöhnlich die Todesart auch erscheint, so ungewöhnlich das Zeichen, das der Täter hinterlässt: er hat dem Opfer post mortem die rechte Hand zertrümmert. Hier beginnen die gesellschaftlichen Verstrickungen. Denn der Pianist war nicht nur mit einer Römerin aus dem Hochadel verheiratet, der Duchessa Cristina Gallois, geb. Pantaleoni, sondern er war schwul und hatte offenbar ein intimes Verhältnis zum Dirigenten Maestro Ephraim Azzaria. Dessen Vorname verweist auf den Stamm Ephraim in der Bedeutung von „doppelt fruchtbar“. In der Bibel wird der jüngste Sohn Josefs so gerufen. Doppelt fruchtbar ist auch Azzaria: ein außergewöhnlicher Dirigent, weltweit gefragt und ein hochemotionaler Liebhaber, der seine Liebe sowohl künstlerisch als auch zwischenmenschlich (manchmal destruktiv) auslebt. Seine Proben sind legendär. Mal geht etwas zu Bruch, fliegt der Taktstock durch die Gegend, scheint es, der Maestro gehe gleich auf einen Musiker los, eine mangelhafte Impulskontrolle liegt nahe. Zudem kristallisiert sich ein Motiv heraus, das keiner seiner Umgebung würde teilen können. Auch wenn die Duchessa durchaus ein Interesse an Emiles Tod hätte, Eifersucht wäre da nur eines von mehreren.

Feinde? Jede Menge Neider!

Beruflicher Erfolg macht einsam. Und fordert den Neid der Götter heraus. Götter, die es nicht ertragen können, andere in ihrer Umgebung glänzen zu sehen. Da ist der Agenturinhaber, der fast vollständig vom Erfolg Emiles abhängt, aber daran arbeitet, einen zweiten Künstler in eine ähnliche Position zu bringen. Da ist die Pianistin, die sich von Emile brüskiert fühlt und auf Rache sinnen könnte, zumal auch sie international unterwegs ist. Oder doch der Saalwächter, der Emile als Letzter lebend gesehen hat? Ein Raubmord ist nicht ausgeschlossen. Die Liste der Verdächtigen setzt sich fort.

Eifersucht – das intime Verlangen, von einer bestimmten Person beachtet, verehrt, geliebt zu werden. Was für eine Spielart könnte es hier angenommen haben? Von zentraler Bedeutung scheint das 2. Klavierkonzert von Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow. Lange lag die Verbindung dazu geborgen im Schatz zweier Menschen, der nun unfreiwillig ans Licht gezogen wird, an jenem Abend in Rom.

Die Seele hat die Farben deiner Gedanken (Marc Aurel)

Ausdruck, Timbre, Farbe, Seele – der Zauber musikalischer Poesie etwa bei Brahms, immer auch im Hinblick auf Clara Schumann, das sind die Ingredienzien künstlerischen Könnens, die den Zuhörer in Magie bannen, aus der er nicht wieder in die reale Welt wechseln möchte. Das ist die Fähigkeit Emiles, dafür feiert ihn die Weltpresse, liebt ihn das Publikum. Er entwirft Bilder, Porträts oder große Landschaften, mit den Klangfarben seines Flügels, keine Spreizung ist zu weit, jede Miniatur feingeschliffen, selbst der Nachhall schwingt in den Herzen der Menschen weiter.

Bereits zu Beginn scheint sich all das im Rauch einer Autobombe zu verflüchtigen, einer unerhörten Musikalität der ultimative Garaus gemacht zu sein. Doch die Komposition ist raffiniert. Es gibt Seitenwege, Sackgassen und eine versteckte Entwicklung. Alles sorgfältig aufeinander abgestimmt, der Leser läuft den Geschehnissen hechelnd hinterher, glaubt gut zu kombinieren und verrennt sich dann doch. Gleichsam einem Vexierspiel treibt die Autorin ihren Spaß mit dem kriminalistischen Gespür des Lesers, ohne je einen Ton zu viel zu verlautbaren.

Das ewige Rom und deutsche Sehnsüchte

Die Stadt leistet ihren Beitrag dazu. Natasha Korsakova präsentiert ein Rom der Fülle, das ein wenig an Fellinis ‚Roma‘ erinnert, ein filmisches Denkmal. Vergleichbares findet sich hier: das Viertel Coppedé mit seinen verwunschenen Gärten, ein Jugendstil-Wunderreich, erbaut vom gleichnamigen Architekten zwischen 1915 und 1926. Von der Piazza Mincio mit ihrem Fontana delle Rane (Fröschebrunnen), in dem die Beatles seiner Zeit ein Bad nahmen. Oder eine der siebenundzwanzig Villen, die immer wieder zur Filmkulisse wurden. Etwa die Feenvilla, die einem Märchenschloss gleicht. So auch im Buch: die Villa von Emile und der Duchessa findet sich dort. Und Commissario di Bernardo hat ambivalente Gefühle zu diesem Viertel, die sich auf seine Ermittlungen auswirken. Nichts bleibt unberührt. Das macht das märchenhafte daran aus. Es zieht sowohl die Figuren als auch den Leser in seinen Bann, lässt keinen entrinnen. Ein kompositorischer Kunstgriff, der den Leser ablenkt, ohne den roten Faden zu vernachlässigen. Schon unter diesem Aspekt lohnt das nochmalige Lesen, bereitet es Freude dem dann bewusst nachzuspüren. Jenseits dieses Formalaspekts verdient die Detailtreue Respekt: gleich ob einzelne Stadtviertel, eine Bar, ein Caffè, das Schlendern entlang von Geschäften oder die Fahrt mit dem Bus – die Atmosphäre ist dicht, das Geschehen alltagsnah, die Linienführung der Ermittlungen gleich der Präzision eines Städteführers nachvollziehbar. Das ist eine zusätzliche Anregung, sich mit der Stadt auseinanderzusetzen. Etwa dem wunderschönen Band von Giovanni Fanelli: Rome – Portrait of a City. Hier liegt denn auch eines der Potentiale des Buchs, besser der Nachfolger: das Atmen, die Stille und der Duft des Lebens der Metropole. Sie zu erfassen, ins Caffé Greco oder Harry’s Bar in der Via Veneto zu schlendern, oder jene stillen Winkel im Vatikan zu suchen, über die wenig bekannt ist. Etwas ausgefallen, aber nicht ganz abwegig ist denn auch, dem Commissario beim Zubereiten eines Huhns über die Schulter zu schauen: römische Küche zum Nachkochen.

Diese verschiedenartigen Eindrücke ziehen den Leser mitten in das Geschehen hinein, lassen ihn nah an die Handlung heran. Vermittelt wird diese Nähe insbesondere über die Plastizität des Figurenensembles, das in seiner Unterschiedlichkeit, mit seinen Ecken und Kanten, Eigenheiten und Marotten ein vortreffliches Spiel bietet. Etwa der cholerische Questore Borghese, die exaltierte Duchessa Cristina oder der brillierende Azzaria, dessen Theatralik chaotisch von traurig zu zornig umbricht, nicht ohne einen tragikkomischen Akzent zu setzen. Der Identifikationsgrad ist hoch, das Timbre der Figuren vielschichtig und durchgängig authentisch.

Was verstehen die Italiener schon von der Liebe?

Immer diese ewigen Rezitative! Nein, sicher nicht. Aber hier hätte man sich doch gerne noch verloren im Wiedersehen von di Bernardo mit Giorgia, die aus Mailand zu einem Wochenendbesuch bei Dinisio vorbeischaut. Was für ein Raum für Accompagnato-Rezitative!

Fazit: Eine gelungene Fortsetzung für Commissario di Bernardo. Bravo! Ganz so wie für Rachmaninow ein hohes technisches wie auch künstlerischen Maß vonnöten ist, gelingt es di Bernardo und seinem Team erst auf den letzten Metern, den Täter zu stellen und ein weiteres Drama zu verhindern. Ganz so wie das Gute, das wir geben, stets in unser Herz zurückkehrt, kehrt auch das Böse, das wir säen, wieder heim und wird uns vernichten.

Ingo-Maria Langen, Dezember 2019