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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Milch Blut Hitze

Dantiel W. Moniz
Milch Blut Hitze

Storys
Grove Press, New York 2021
Aus dem Englischen von Claudia Arlinghaus und Anke Caroline Burger
C.H.Beck, München 2022

230 Seiten, 23.- €

 

Dantiel W. Moniz, Assistant Professor für Englisch an der University of Wisconsin-Madison. Milch Blut Hitze ist ihr Debüt.
Claudia Arlinghaus, Studium der Sprachen und Literatur an der WWU Münster, längere USA Aufenthalte, Übersetzungen von Will Smith, Richard Mabey und Eowyn Ivey.
Anke Caroline Burger übersetzt u.a. Ottessa Moshfegh, Adam Johnson, Jon McGregor.

Florida – Sunshine-State. Feuchtwarme Hitze dringt in alle Ritzen, beschert tropische Nächte, die auslaugen, keine Erholung spenden, zumal dann nicht, müssen mehrere Jobs abgearbeitet werden, fressen die Mieten, die Lebenshaltungskosten das Leben derjenigen Menschen auf, die Sunshine nur als Hitzebelastung kennen. – Elf Kurzgeschichten führen uns in dieses Land, zeigen Figuren aus der erodierenden Mittelschicht, die auf verschiedene Weise kämpfen müssen, um ihr Leben zu erhalten.

Da sind die beiden Teenager Ava und Kiera, schwarz und weiß, die in ihren scheinbar behüteten Elternhäusern in einem liberal-konservativen Gegensatz leben, der sich auf gesellschaftliche Konventionen fokussiert, sich daran abarbeitet ohne zu verstehen, welche tief verstörenden Abgründe sich in den beiden Mädchen auftun, die Katastrophe unausweichlich. Noch verstörender: die auch nachträgliche Unfähigkeit der sozialen Umgebung eine Erklärung zu filtern. Doch können wir Unerklärliches erklären? Die Figuren schaffen es kaum. Es bleibt an der Oberfläche, zu tief im Dunkel liegen „Milch Blut Hitze“, die Auftakterzählung des Bandes. Moniz spielt geschickt mit Symbolen und Bildern, die allerdings keinen leitmotivischen Charakter entfalten.

Gewissheiten brechen weg, Sicherheiten erodieren. Die Liebe Gottes: Christus ist die Mensch gewordene, sichtbare Hoffnung, das Erbarmen, der Trost und die Gnade Gottes. In „Zungen“ erweist sich für Zey gerade das pastorale Umfeld als gefährlich. Der Pastor grenzüberschreitend, spirituell missbräuchlich, geht er noch weiter? Bald fallen in ihrer Familie Worte wie Messer über sie: Flittchen, Schande, Blamage. Verleumdung, üble Nachrede. „Ihre Mutter schreit: Was du tust, fällt auf mich zurück!“ Soziale Eskalationsspirale. Angrenzende Milieus nehmen auf, mischen mit.

Der von Moniz ausgebreitete Themenkorridor berührt unser Alltagserleben: Fehlgeburt, Krankheit, Untreue, Missbrauch, Ängste, Selbstmord. Die für den Leser damit verknüpften emotionalen Identifikationen mit den jeweiligen Figuren gelingen unterschiedlich. Zumeist handelt es sich um schwarze Frauen oder Mädchen, deren Zuschreibung als Person of Colour austauschbar bleibt, zugleich aber die Identifikationsmöglichkeit verbreitert. Eine patriarchalische Gesellschaft mit Normwertkomplexen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Unterwerfung, Verfügbarmachen von Fraulichkeit, gepaart mit der Angst vor eigenem (männlichem) Versagen in der Geschlechtertypologie. Die tiefe Verwurzelung regressiver Haltungen, Stacheldraht zur Abwehr einer offenen Gesellschaft.

Das Debüt von Dantiel W. Moniz ist frisch bis frech, detailverliebt und bleibt doch hausbacken. Möchte man sie einordnen unter die bekannten Namen mit afro-ethnischen Wurzeln, Chimamanda Ngozi Adichie, Zadie Smith oder auch Bernardine Evaristo, braucht es noch Schliff. Das Zwingende der Konfliktlinien, die Scharfkantigkeit der Sozialmilieus, die Widersprüchlichkeit der Figuren, ihr auswegloses Aufeinander-Angewiesen-Sein, tranne per il sangue, wenn man so will. Luft nach oben.

Ingo-Maria Langen, Mai 2022