Hans Küng
Kirchenreform
Sämtliche Werke, Bd. 6
Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2016
488 Seiten, 70.- Euro
Zusammenfassung:
Hans Küng plädiert in seinem Beitrag für eine radikal vereinfachte, am Evangelium und der Person Jesu ausgerichtete Kirche, deren innerer Zusammenhalt wie auch ihre äußere Wirkungsvielfalt über den gelebten Dienst an der Gemeinschaft erfahrbar wird. Nicht die Abschaffung aller Tradition wird hier gefordert, wohl aber die Entschlackung der monarchischen Verfasstheit, zugunsten einer ‚Demokratisierung‘ an Haupt und Gliedern.
Hans Küng, römisch-katholischer Priester, Schweizer Theologe, einer der bekanntesten und profiliertesten Kirchenkritiker. Lehrstuhlinhaber in Tübingen, zuletzt für Ökumenische Theologie, Mitgründer und bis 2013 Präsident der Stiftung Weltethos. Besondere Aufmerksamkeit fanden seine Bücher: „Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit“, „Unfehlbarkeit?“ mit einer viel beachteten Kritik am Dogma. 1979 wurde ihm mit Billigung der Entscheidung der Kongregation für die Glaubenslehre unter Joseph Ratzinger seitens Johannes Paul II durch die Deutsche Bischofskonferenz die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.
Das Mahlen von Gottes Mühlen
Die knappe Besprechung dieses umfangreichen Bandes, der verschiedene Aspekte einer möglichen und nötigen Kirchenreform betrachtet, bezieht sich auf den Teil: „Kleines Handbuch der Kirchenreform: Ist die Kirche noch zu retten?“ erschienen 2011, könnte der Text nicht aktueller sein. Allerdings schreibt Küng schon damals, wenn sich in den nächsten 10 Jahren nichts wirklich ändert… Das lässt sich für die abgelaufene Zeit leider genau so feststellen. Passiert ist wenig bis gar nichts. Es lohnt dennoch, den Text genauer zu studieren, denn er enthält zukunftsgerichtete, teils visionäre Züge.
Aus der Sicht Küngs ist die Krise der katholischen Kirche im Wesentlichen eine Kirchenleitungskrise. Alle Ansätze aus den Jahren nach dem Zweiten Vatikanum bis zu den diskutierten und projektierten Reformen, etwa auch des kirchlichen Gesetzbuches (CIC) [cf. Rücknahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Johannes Paul II ], waren darauf gerichtet, ein mehr gemeinschaftliches Zusammenwirken von Bischöfen, der Kurie und dem Papst zu installieren. Doch die lange Beratungszeit des CIC bis 1983 erlaubte es konservativen Hardlinern ihren Einfluss so stark durchzusetzen, dass die Beschlüsse des Konzils in ihren reformerischen Ansätzen erheblich zurückgefahren wurden. Unter dem Pontifikat JP II und Joseph Ratzinger als Vorsitzendem der Kongregation für die Glaubenslehre fand stattdessen eine weitere Zentralisierung auf Rom statt. Der Episkopat wurde massiv in seiner Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt. Uns sind noch die Auseinandersetzungen um die Schwangerschaftskonfliktberatungen in Deutschland in Erinnerung.
Doch die Krise geht weit tiefer. Auch Küng spricht von Systemkrise. Hatten bereits die aufgehäuften strukturellen Leitungsprobleme die Gläubigen vielfach dazu bewegt, der Kirche den Rücken zu kehren, so geschah dies nach dem Bekanntwerden des weltweiten systemischen Missbrauchs (sexueller wie geistlicher Art) auch mit moralischer Empörung. Ein unerhörter Gesichts- und Vertrauensverlust, der bis heute anhält. Dazu beigetragen hat die oft unwillige Aufarbeitung und die schmerzliche Erkenntnis(auch für die Kirche selbst), dass immer noch Missbrauch geschieht, Vertuschung, Leugnung oder Schweigen zu den ‚Bewältigungsstrategien‘ mancher Kirchenfunktionäre gehört. – Umso erstaunlicher mutet es an, dass sich in diesem Monat Benedikt XVI (zusammen mit Kardinal Sarah) in die Debatte um eine Lockerung des Zölibats im Rahmen der Amazonassynode einschaltet und darauf dringt, alles so zu belassen wie es ist. Präjudiziert hier ein emeritierter Papst die Entscheidung seines Nachfolgers? Theoretisch könnte er das, denn er ist mit allen Rechten und pflichten Emeritus. Würde Franziskus etwas zustoßen, Benedikt könnte die Amtsgeschäfte – mindestens vorübergehend – wieder aufnehmen. Dieses Verhalten beschädigt das Vertrauen der Gläubigen in die Kirche weiter. Ob er das bedacht hat – oder billigend in Kauf nimmt? Für die eigene Überzeugung? Der Preis könnte sich als hoch erweisen – für die Kirche.
Mens sana in corpore sano – worum zu beten sei (Juvenal)
Welche kurativen Eingriffe stellt Küng sich für die Kirche nun vor? Der Autor vergleicht die Institution mit einem siechen Körper (in dem durchaus ein gesunder Geist sitzen kann), den es zu ertüchtigen gilt. Osteoporose des kirchlichen Systems: Ein therapeutischer Schritt in Richtung Gesundung ist für ihn die ‚Demokratisierung‘ der Kirche. Vom Alten Testament her ist die Kirche keine „(geistliche) Diktatur“. Sie soll in der Hand des „ganzen heiligen Volkes“ liegen. Übertragen auf die Würdetitel und Dienstträger bedeutet das nach Küng (ähnlich sieht es auch der Kirchenhistoriker Hubert Wolf), die Charismen (Gaben, Berufungen) stehen alle ausschließlich im Dienst des Ganzen! Der Dienst in der Kirchenleitung basiert eine Autorität (Bischof, Priester, Mitarbeiter), die aber kein „dominium“, sondern ein „ministerium“ begründet: eine besondere Dienststruktur. Küng bezeichnet diese auch als Skelett, als Stützapparat, der aufrecht- und zusammenhält. Das Bild der Osteoporose wird damit griffig. Ein Bild aus unseren Tagen: Der in Deutschland zur systemischen Krise der Kirche eingeschlagene „Synodale Weg“ soll bis 2021 Möglichkeiten, Instrumente und Formen finden, die vier Bereiche abdecken. 1. Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, 2. Priesterliche Existenz heute, 3. Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche und 4. Leben in gelingenden Beziehungen (Sexualität und Partnerschaft). Der geneigte Leser erinnert die Würzburger Synode (1971 – 1975), deren fortschrittliche Beschlüsse später stillschweigend von Rom (unter JP II) „kassiert“ wurden. Kann es dazu wieder kommen? Kurz gesagt: ja. Auch Franziskus ist nicht der Reformpapst, den es bräuchte, um mit den konservativen und beharrenden Kräften in der Kurie (und ihren Unterabteilungen) fertig zu werden. Dann allerdings droht ein dramatischer Aderlass: Alle jene engagierten Gläubigen, die heute noch (oft unter Murren) ihren Dienst für die Kirche (und damit letztlich für die ganze Gesellschaft) tun, könnten sich abwenden oder in die innere Emigration wechseln. Welche gesellschaftspolitische Konsequenz das hätte, gerade in emotional aufgeheizten Zeiten, lässt sich leicht ausmalen.
Zurück zu den Wurzeln
Kein „selbstfabriziertes Kirchenrecht“, sondern ein an der Einfachheit und Selbstverständlichkeit des NT und der Person Jesu ausgerichtetes verkündigendes (evangelisches) Kirchenrecht. Was heißt das? Nicht die Lehre der Pharisäer, die „unerträgliche Lasten“ den Menschen aufladen, sondern die Gemeinschaft der Menschen (zumal des „Sünders“) in und mit dem Herrn. Es geht um Teilhabe: der Geschiedenen, der unverheirateten Mütter, von Priestern, die die Ehe führen dürfen oder Frauen, die die Ordination zum geistlichen Amt erhalten, der Ökumene zwischen den Konfessionen, insbesondere der gemeinsamen Eucharistie sowie der Einbeziehung der Laien in der Gestaltung kirchlicher Wirklichkeit. Kirche ist sohin kein Machtapparat, sondern „Volk Gottes“ und „Leib Christi“.
Der Gottesdienst, den immer weniger Gläubige besuchen, muss „verständlich, präzis, differenziert und packend“ sein, damit er die Menschen erreicht. Bereits die gemeinsame Taufe muss als verbindendes Zeichen verstanden werden, das Gemeinschaft herstellt. Eine Gemeinschaft, die theologisches oder rituelles auch später nicht trennen kann. Die Abendmahlsfeier als Dankes- und Gemeinschaftsmahl, das keine Grenzen in Theologie, Bildung oder Geschlecht kennt. Darauf müssen seelsorgerische Dienstleistungen aufbauen, die alle Menschen in ihren Lebensbedürfnissen von der Taufe bis zur Beerdigung begleiten und gerade in schwierigen Abschnitten nicht belehren (mehr beten, Buße tun, mit Frömmeleien abspeisen), sondern die ernsthaft an den Problemen der Menschen teilnehmen und gemeinsam (authentisch) nach Lösungen suchen. Das wäre eine praktisch gelebte (dienende) Liebe der Kirche für ihre Schafe. Nicht das hohe Amt des Priesters, die Moralverkündigung von der Kanzel, sondern der gelebte Beistand im Menschsein.
Abschied von der Papstkirche in der heutigen Form
Das Leben bedeutet Suche, auch und gerade für die Kirche und ihr Oberhaupt. Nicht die Verkündigung von Dogmen, das Abverlangen von Katechismen oder die Drohung mit Sündenstrafen sind Wege in die Zukunft. Ein gemeinsames (konfessionsübergreifendes) Verständnis, interreligiöser Dialog, das Absehen von allzu starren Positionen um der Gemeinschaftlichkeit willen, das sind Aufgaben des Papstes, will er denn die Gemeinschaft in der Kirche erhalten. Von der Leitungs- und Verwaltungsebene bis hinunter zum einzelnen Gläubigen sind nicht „Prunktsucht“ oder pompöse „Kleidermode“ gefordert, sondern Schlichtheit, die schon im Äußeren das Sich-in-Dienst-stellen ausdrückt. Kein verschwurbelter Theologensprech oder altertümelnde Liturgieformen. Auswahl jüngerer, konzilsaffiner Personen als Bischöfe und für die Kurie. Ein weiterer Schritt ist die praktische Anerkennung und der Respekt für die Subsidiarität, d.h. die möglichst breite Entscheidung auf Diözesanebene. Die kollegiale bischöfliche Führung einer Teilkirche (Deutschland). Das hier gerne eingewandte Argument der Universalkirche, die solche „spalterischen“ Entwicklungen nicht zulassen könne, geht fehl. Denn eine lebendige Kirche lebt immer auch von Unterschieden, von Dynamiken und Bewegungen. Ein Beispiel dafür ist der schwierige Umgang mit der „Befreiungstheologie“ aus Lateinamerika. Soweit hier mit Drohungen oder Ausschlüssen seitens Roms gearbeitet wurde, so kann man mit dem von Küng zitierten Jesuiten Francisco Suarez (1548 – 1617) auch feststellen, dass etwa ein Schisma nicht nur durch die Abtrennung eines Teils der Kirche von sich selbst erfolgen kann, sondern auch dadurch, dass der Papst sich vom Leib der Kirche trennt. Gemünzt war das auf Benedikt XVI, mit Bezug auf die Ablehnung einzelner Entwicklungen in der Weltkirche, zugleich aber der Hinzunahme (Wiederaufnahme) etwa der ‚Piusbrüder‘, der Förderung der tridentinischen Messe, oder der Abwendung von den Reformgedanken des Zweiten Vatikanums.
Fazit:
Eine Reform der Kirche muss nach Hans Küng beinhalten: Evangelische Demut, Evangelische Einfachheit, Evangelische Brüderlichkeit und Evangelische Freiheit. Dazu kommen: kompetentes Fachpersonal, transparente Finanzen, die Abschaffung der Kongregation für die Glaubenslehre und ein neugestaltetes Kirchenrecht. Priestern soll die Ehe erlaubt und Frauen die Ordination ermöglicht werden. Der Klerus gemeinsam mit den Laienvertretern die Bischöfe wählen. Die Mahlgemeinschaft beider christlicher Kirchen zur Norm werden, ebenso wie interkonfessionelle Ehen. Damit wäre eine Dynamik in Gang gesetzt, die noch vieles Weitere bewegen könnte. Vor allem wieder die Freude und den Glauben an die Kirche. Womit wir alle ein himmlisches Geschenk bekommen würden!
Ingo-Maria Langen, Januar 2020