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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Johannes Paul II

Matthias Dobrinski
Thomas Urban

Johannes Paul II
Der Papst, der aus dem Osten kam

Verlag C.H.Beck
München 2020
336 Seiten 24,95.- €

 

Zusammenfassung:

Ein facettenreiches Buch, mit vielen (neuen) Fakten zur Entwicklungsgeschichte Johannes Paul II, das bereits frühzeitig den Priester und Theologen erkennen lässt, immer in Verbindung mit einer politischen Botschaft und deren praktischer Arbeit. Ein differenziertes, zum Teil durchaus kritisches Buch, geschrieben als respektvoll-sympathisches Porträt.

Matthias Dobrinski, seit 1997 Fachredakteur Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der „Süddeutschen Zeitung“. Er begleitete als Journalist die Pontifikate von Johannes Paul II und Benedikt XVI, aktuell jenes von Franziskus.

Thomas Urban, von 1988 bis 2012 Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ besonders für die Umwälzungen in Osteuropa. Im Anschluss übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid mit dem Schwerpunkt Spanien und Portugal, hier besonders zur Wirtschaftspolitik. Er war Mitarbeiter des Dissidenten Lew Kopelew.

Der lange Schatten eines Pontifikats

Eines der längsten Pontifikate in der Neuzeit, das in doppelter Hinsicht Maßstäbe setzen sollte wie selten zuvor. Zum einen schuf JP II eine wetterfeste, an den religionspolitischen Herausforderungen des aufziehenden dritten Jahrtausends orientierte katholische Kirche, zum anderen verbindet sich mit seiner Amtszeit der Untergang des Ostblocks. Unter politischen Gesichtspunkten seine bedeutendste Lebensleistung als Papst, da seine Diplomatie in Rede und Tat gründete: Nur ein freies Polen ermöglicht ein freies und geeintes Europa. Eine visionäre Vorstellung in einer Zeit, die noch von der harten Konfrontation des Kalten Krieges geprägt war.

Sein politisches wie theologisches Credo: Habt keine Angst! Begegnet einander ohne Furcht und auf Augenhöhe. Er bot geschickt den kommunistischen Machthabern die Stirn, forderte konsequent das Recht auf Menschenwürde ein und blieb nach 1990 ein Mahner in der globalisierten Welt, stritt gegen Materialismus und Konsum, für die Bewahrung der Schöpfung (ohne die auch die Menschenwürde nicht realisierbar ist) und versuchte 2003 den Irakkrieg zu verhindern.

Diese Aufzählung verdeutlicht bereits (und das ist die ganz große Stärke dieser Biografie): Die Wirkungsmacht des Pontifikats JP II ist hochpolitisch. Das gilt für außen- und weltpolitische Themen wie für theologische: Der Ausstieg der Deutschen Bischöfe aus der Schwangerschaftskonfliktberatung, das kategoriale Nein zur Priesterweihe von Frauen oder die Förderung reaktionärer Gemeinschaften wie Opus Dei bzw. die Legionäre Christi.

Werkzeug Gottes

Die Sozialisation eines Menschen – auch ein Papst fällt nicht vom Himmel – ist ein facettenreicher Prozess. Großes Verdienst erwirbt das Buch sich mit der Ausleuchtung der Jugendzeit Karol Wojtylas. Die differenzierte Verknüpfungsgeschichte von theologischen Erweckungserlebnissen (Marienwalfahrten, Passionsspiele), der Tod der Mutter und später des Bruders, die Werke der Romantiker Henryk Sienkiewiczs („Quo vadis“) oder Adam Mickiewicz und Juliusz Slowacki. Gemeinsam war ihnen die Hoffnung auf die Renaissance der polnischen Nation und ihrer Verwurzelung im Katholizismus. Der Dichter steht oft in der Funktion des Führers und Dieners der Nation, nicht selten überhöht zum polnischen Erretter der Welt. Besonders die Prosa ist später durchwirkt von Realismus, der die sozialen Probleme der Polen besonders akzentuiert. Auf diesem geistigen Nährboden geht die spätere akademische Saat in Philosophie und Theologie voll auf. Ein gewisser polnischer Messianismus – so die Verfasser – durchwirkte Karols Leben als Bischof und Papst. Diese prägende Phase fand für Karol auch in eigener Dichtung Ausdruck (u.a. Psalmenbuch aus der Renaissance).

Unter deutscher Besatzung leistete Karol Schwerstarbeit in der Rüstungsindustrie. Hier formte sich sein Bild vom Arbeitermilieu. Werke von Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz ließen ihn geistige Hoffnung schöpfen, geschult durch lange Meditationen im Gebet. In dieser Zeit verstarb sein Vater, Karol war mit 21 Jahren ohne Angehörige. Im kirchlichen Umfeld fand er Menschen, denen er sich anschloss, schließlich den Zugang zu einem geheimen Priesterseminar, das Erzbischof Sapieha eingerichtet hatte. Nach dem Krieg erhielt er eine erste Universitätsstelle. Zugleich nahmen die neuen Machthaber ihn unter Beobachtung. Kurz nach seiner Priesterweihe wurde er für weitere Studien nach Rom entsandt.

Politik und Theologie

Auf seinen ersten pastoralen Stationen in der Heimat knüpfte er an seine dichterischen und schauspielerischen Erfahrungen aus der Schulzeit an, begeisterte die Menschen ebenso als Dorfpfarrer oder Studentenseelsorger wie später als Bischof. Seine Fremdsprachenbefähigung erleichterte ihm den sicheren Schritt auf internationalem Parkett in Politik und Gesellschaft. Die Ausdrucksfähigkeit mit Charisma und Humor unterhalten zu können ebenso. Nicht zuletzt sollten seinen politischen Erfahrungen ab jetzt Früchte tragen im Weltgeschehen.

Nach seiner Ernennung zum Kardinal (1967) wurde er zum Angstgegner der kommunistischen Machthaber in seiner Heimat. Beschlagen, redegewandt und sicher im Stil konnte Karol sowohl mit Marx als auch dem Parteiprogramm oder der polnischen Verfassung argumentieren, was Edward Gierek, den damaligen Parteichef, fast zur Verzweiflung brachte. Seine frühe Unterstützung der Solidarność (materiell, intelektuell und diplomatisch) trug erheblich zur Erosion des Regims von General Jaruzelski bei.

Innerkirchlich straffte Karol die Zügel. 1978 zum Papst gewählt, machte er Joseph Ratzinger alsbald zum Chef der Kongregation für die Glaubenslehre. Gemeinsam gingen sie gegen die Kritiker eines autoritären Führungsstils vor, bekräftigten die Ablehnung der Frauenordination (ordinatio sacerdotalis) und drängten kritische Theologen aus ihren Funktionen (Fall Küng). Diese Unerbittlichkeit zeigte sich auch in der Sexuallehre. Bereits zu „Humane vitae“ hatte Karol für Paul VI Beiträge verfasst, die ihm dessen Anerkennung und Förderung einbrachten. Auch hier gilt: Die schon in der Jugend ausgebildeten Erfahrungen – durchaus positiv gesehen – beruhten auf der Überzeugung, dass die Frau nie zum Objekt der Begierde des Mannes werden dürfe, gelebte Sexualität gerade auch die Bedürfnisse der Frau zu respektieren und zu erfüllen habe. Darin, ebenso wie in der Beschränkung ihrer Ausübung liege eine hohe Kunst und Erfüllung.

Dunkle Schatten

Doch die mit der Sexualität verbundenen Missbräuche innerhalb der Kirche werfen diese Einsichten zurück, drücken ihnen einen Schandstempel auf, den JP II selbst wenig verdient. Bediente er sich der Dienste von Opus Dei ebenso wie der Legionäre Christi und ihrem Gründer Marcial Maciel Degollado, um politische Entwicklungen in der Welt zu beeinflussen, so übersah er geflissentlich dessen Doppelleben, geprägt von vielfältigem Missbrauch an Jungen, mehreren Vaterschaften mit zwei Frauen und der an leiblichen Kindern ausgelebten Päderastie. Berichte über ihn gab es längst, bis in die obersten Stellen des Vatikan. Da Maciel als großer Finanzjongleur wohl auch bei der Unterstützung der Solidarność geholfen hatte, stand er in der Gunst JP II. Auch waren seine Kontakte zur neokonservativen Rechten in den USA und zu George Weigel so bekannt wie nützlich für den Papst. Der damalige Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano knüpfte gemeinsam ein enges Netz mit Maciel etwa in dem Bestreben die Theologie der Befreiung aus Lateinamerika zurückzudrängen. Einer ihrer stärksten Gegner erwuchs ihr später in Benedikt XVI. Nach dem Tod JP II übernahm der US-Journalist und Theologe Weigel die Deutungshoheit über dessen Pontifikat in der angelsächsichen Welt. Er prägte das Bild von Karol als eines Kämpfers metaphysicher Dimension gegen die “Kultur des Todes” – was sich durchaus nicht nur auf die “Mafia” bezog, sondern auf alle lebensvernichtetnden Maßnahmen wie etwa die Abtreibung.

Unverständlich auch die Personalpolitik in Wien. Dort machte JP II Hans Hermann Gröer zum Nachfolger von Kardinal König, einem allseits geschätzten Pragmatiker und Liberalen. Gröer galt als Erneuerer der Marienwallfahrt und war Gründer eines Zisterzienserklosters. Er sollte ein Bollwerk gegen den Materialismus und Ungeist des Liberalismus in Österreich bilden, katergorischen Widerstand gegen Abtreibung und Empfängnisverhütung leisten. Diese Personalentscheidung erwies sich jedoch als Missgriff. 1995 outete die Zeitung “profil” den Leiter des Knabenseminars Hollabrunn als mehrfachen Kinderschänder. Christoph Schönborn folgte ihm kurz darauf als Erzbischof nach.

Dieser Schatten bleibt keine Leerstelle in dem sehr gut recherchierten und faktenreichen Buch. Er gehört zum Pontifikat JP II ebenso dazu und reicht bis weit in das von Franziskus. Der “Synodale Weg” (in Deutschland) ist nicht zuletzt auch Ausdruck dieser (andauernden) Krise. Es bleibt zu wünschen, jene Zusammenhänge zwischen diesen Gestalten der Kirchengeschichte und ihrem politischen Wirken in den jeweiligen Pontifikaten zukünftig zu untersuchen. Hier liegt noch viel Eis auf möglichen Erkenntnissen.

Ingo-Maria Langen, Mai 2020

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