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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Glaubensdämmerung

Andreas G. Weiss
Glaubensdämmerung
Was wir glauben, wenn wir glauben

Verlag Klöpfer, Narr
Tübingen 2020
410 Seiten 28.- €

Zusammenfassung:

Ein weit ausgreifender theologischer Essay zu den Grundlagen menschlichen Glaubenserlebnisses. In leicht verständlicher Sprache führt der Autor den Leser von allgemeinen Alltagserfahrungen hin zum religiösen Glauben, immer wieder rück gebunden auf Quellentexte christlicher Lehre. Besonders plastisch wird dies am Beispiel des Paulus. Steht diese Figur abendländisch-christlicher Kultur doch bereits an der Schnittstelle von Religion und (säkularer) Politik.

 

Andreas G. Weiss, Dr. theol. in Fundamentaltheologie und Dogmatik (2018: Der politische Raum der Theologie), tätig bei einem kirchlichen Bildungsträger in Salzburg. Autor der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“, Gastautor der „Salzburger Nachrichten“ u.a.m. Mitglied der „American Academy of Religion“ und der Görres-Gesellschaft.

 

Der Glaube als Trost: ein Plätzchen zu dem wir kriechen, wenn wir uns fürchten?

In seinem Artikel: „Können Vernunft und Glaube Freunde werden?“ (Tagesspiegel 18.06.2015), zitiert Uwe Lehnert JP II: „Die Vernunft des Menschen ist ein großartiges Instrument für die Erkenntnis und Gestaltung der Welt. Sie bedarf aber, um die ganze Fülle der menschlichen Möglichkeiten zur Verwirklichung zu bringen, einer Öffnung für das Wort der ewigen Wahrheit, das in Christus Mensch geworden ist.“ Die Vernunft als Magd des Glaubens? Der (evangelische) Altbischof Huber: „Zur christlichen Freiheit gehört auch die Fähigkeit, sich seines Verstandes zu bedienen. Aber zu dieser Freiheit gehört auch die Einsicht, dass die menschliche Vernunft endlich ist, und dass es sich beim Kult der Vernunft um eine Form des Götzendienstes handelt. Es dient der christlich verstandenen Freiheit, wenn die Vernunft dem Glauben nachfolgt und in seinen Dienst eintritt.“ (Zit. ebd.) – Wir sollten nicht den „falschen“ Trost suchen.

Kategorienfehler dieser Art meidet Andreas G. Weiss. Stattdessen bindet er Glaube in kritisch reflexive Prozesse ein: „Ein Glaube, der sich glaubhaft mitteilen will, darf keinesfalls den prekären Möglichkeiten des Lebens ausweichen. Er darf sich auch vor den dunklen Momenten des Lebens, aber auch vor noch nicht abzusehenden Problemen und Anfragen nicht fürchten. Er soll sich jenen Bedingungen des Lebens stellen, in denen er möglicherweise selbst auf die harte Probe der Falsifizierbarkeit gestellt wird.“

Wie der Mensch zu seinem Glauben kommt – im tagtäglichen

Der Untertitel des Buches „Was wir glauben, wenn wir glauben“ deutet es an: Das Glaubensthema umfasst das ganze Leben des Menschen, nicht nur sein spirituell-geistliches. Der Autor nähert sich dem Thema von der lebenspraktischen Seite. Welchen Erfahrungen begegnen wir, wenn wir im alltäglichen „glauben“? Vielfach verwenden wir Aussagen wie: Ich glaube Dir, der/das ist glaubhaft, glaubwürdig. Ohne diese Bekräftigungen scheint uns im Alltag eine griffige Formel zu fehlen, um ein Bedürfnis auszudrücken. Wir wollen etwas bekräftigen, dem wir uns verbunden fühlen, das wir aber nicht (ausreichend) begründen geschweige beweisen könnten. An diese Stelle tritt dann unsere Glaubens-Formel. Weiss spricht von einer „anthropologische(n) Konstante(n)“. Zumindest für den Kulturkreis der westlichen Hemisphäre erscheint das nachvollziehbar. Warum ist das so? Demokratische Gesellschaften funktionieren nach soziologischen und kommunikativen Prinzipien. Das Konsensprinzip ist dabei eines der häufigsten. Gleichwohl fehlt dafür im kommunikativen Instrumentenkasten eine Variable, die einen ‚bedingten‘ Konsens, eine Art ‚vorab‘-Ja, ermöglicht. Sinn und Zweck dieses Instruments ist die Möglichkeit, auch bei ungewissem Ausgang, erstmal überhaupt etwas zu unternehmen. Dazu dient unser tägliches ‚credo‘. Zugleich ist es dem möglichen Scheitern ausgesetzt. Es ist mithin unser Vertrauen, das wir ausdrücken und einer Belastungsprobe aussetzen. Wir müssen ein Wagnis eingehen – jeden Tag aufs Neue. Vertrauen muss somit ein robustes Fundament in uns selbst haben, oft genug müssen wir es wiederaufbauen. Das ist der Preis des Lebens in Gemeinschaften. Glaube, gleich ob säkular oder religiös, ist eine innere Haltung, die in ihrer Dipolarität immer einen ‚Sprung‘ ins Leben und damit ins Risiko erfordert. Den Glauben zu bezeugen heißt dann, ihn in der Gemeinschaft zu leben. Soweit nun dem Glauben das Scheitern inhärent ist, muss der Zweifel seinen Platz haben. Denn ein Glaube, der nicht erschütterbar ist, verliert sich schnell im Fundamentalismus. Diesem wohnen Angst und Unsicherheit inne, die (apodiktisch) als „Wissen“ ausgegeben werden. Doch die Flamme des wirklichen Glaubens ist hier erloschen. Einen anderen Formenkreis innerer Erlebniswelten stellt der Glaube an „gefühlte Fakten“ dar. Je größer die Unsicherheit, desto mehr Geltung bekommen die Gefühle. Sie bilden den individuell scheinbar unhinterfragbaren Kosmos persönlicher Wahrnehmung. Verbunden mit tatsächlichen Erlebnissen wird so eine Weltsicht konstruiert, die es nicht gibt, die aber „mein Erleben“ widerspiegelt. Filterblasen bestärken dann noch. Hier gibt es weder Anstrengung um Konsens (oder auch Dissens), noch den ‚Sprung‘ (Kierkegaard) in den Glauben, weil alles vermieden werden soll, was unsicher oder Angst macht. Das ist eine totale Verweigerungshaltung gegenüber der Gesellschaft. – Angst kennen auch die Jünger Jesu: In Mat. 17, 1 – 9 werfen sie sich auf den Boden, als sie die Stimme Gottes hören. Später weist Jesus sie an, alles für sich zu behalten. Komplexität, Veränderung, Geschwindigkeit, Verlust von Glaubensinhalten oder Vertrauen nähren die Angst in uns.

Wovon soll religiöser Glauben dann noch leben?

Menschlicher Glaube war immer verbunden mit den Antworten auf existenzielle Herausforderungen der erlebten Wirklichkeit. Glaube nimmt (!) hier nichts weniger als eine Entlastungsfunktion (durchaus im weiten Sinne Gehlens) ein, gegenüber einer komplexen und komplizierten Welt, die der Einzelne nicht überschauen, geschweige kontrollieren kann. Je unsicherer das weltliche Terrain wird, desto fester (apodiktischer) der Glaube. Die Furcht vor Enttäuschung und Verlust schlagen um in Wut oder Hass. Paul Watzlawick bietet dazu mit der Geschichte vom Hammer (Anleitung zum Unglücklichsein / Piper 2017) ein eindrucksvolles Praxisbeispiel. Wer den ‚Sprung‘ nicht wagt, der wird sich selbst verlieren. Er wird den Ruf (oder die Berufung) zum Glauben nicht hören. Hier knüpft der Autor an die bekannte Schrift Ratzingers „Einführung ins Christentum“ an. Von diesem ‚Sprung‘ lesen wir auch dort. Sich vom (religiösen) Glauben berühren zu lassen, bedeutet, das Abwesende Anwesende zu erspüren, in dem Gott sich ausdrückt und das wir in unserem Inneren finden können, insofern wir dazu bereit sind. Denn nur die Sinne oder unser Intellekt können diesen Glauben nicht fundieren. Weiss: „Der religiöse Glaube stellt die Weltbeziehung des Menschen in ihren Extrempunkten dar.“ Das trifft ebenso eschatologische Grundpositionen, als auch existenzielle Fragen der Praxis: Wie gehen wir miteinander um? Wo helfen wir (Flüchtlinge / Arme / Kranke / Kinder)? Was sind wir bereit zu geben? Auch von uns selbst? Hier ist unser Zutun eingefordert. Religiöser Glaube verlangt von uns ein in Beziehung treten, erst dann lebt dieser Glaube. In dieser Weise ist die Trinität Gottes codiert, „der einerseits in sich selbst Beziehung ist, sich gleichzeitig aber auch in der Selbstmitteilung an die von ihm geschaffene (…) Wirklichkeit den Menschen mitteilt.“ So verstanden gipfelt unser theoretisch-praktisches, philosophisch-technisches Wissen im „Glaubenswissen“. Dieses ist in erster Linie Beziehungswissen. Deutlich wird das an der Figur des Paulus. Sein Damaskus-Erlebnis, das ihn in eine völlige Neuausrichtung bringt, ihn den toratreuen Juden, der mit Eifer die Christen verfolgt. Doch nun wendet sich alles: Paulus wird zum mächtigen Fürsprecher Jesu-Christi und seiner Botschaft. Dokumentiert in seinen zahlreichen Briefen. Dort tritt er als unerschrockener Streiter für die Sache auf, stellt sich in Athen dem Areopag (Apg. 17, 16 – 34), scheut keine Auseinandersetzung. Andererseits zeigt er sich den Gemeinden gegenüber nicht nur als Verkünder, sondern auch als Psychologe und Berater, schlichtet er Streit, ermuntert er die Resignierenden und stellt sich bei all dem nicht als Zentralfigur in den Mittelpunkt. Glaube ist Beziehungswirken. Paul Tillich hat das mit dem Zweiklang aus faith und belief beschrieben. Das Glaubenserlebnis ist Teil eines Glaubenssystems, das sich gerade auch im Miteinander ausdrückt. In den Ritualen, der Messfeier, dem Gebet und eben dem Kümmern der Gemeinde untereinander. Damit wir dieses Glaubensgeschehen erfahren können, hilft uns Gottes Gnade (DF 16 II. Vatikanum), derer wir als „unverdientes Geschenk“ teilhaftig werden. Somit werden Personalität, Beziehungsgeschehen und belief zu einer „Berufungstheologie“ (Paulus). Diese ist sowohl kontextgebunden (empirisch-praktisch in der Gemeinde und ihren Ritualen) als auch spirituell in transzendentem Bezug auf Gott.

Beziehungsmoment mit Kafka

Weiss zitiert aus dem Nachlass von Franz Kafka (Beschreibung eines Kampfes) die Geschichte vom Beter. Der wird vom Protagonisten beim lauten Beten und dem Hoffen auf Publikum beobachtet, während er selbst als Voyeur in der Kirche ist. Im Verlauf der Erzählung gewinnt der scheinbar geltungsbetrunkene Beter Statur als Mensch, dessen Sensibilität an ein Beziehungsgeschehen geknüpft ist, während der Protagonist selbst als beziehungslos und kühl dasteht. Letztlich erscheint der Beter als jemand, der in seinem Innersten dasjenige Plätzchen für den Trost an Welt und Leben findet, das dem Protagonisten bei aller Finesse seines Urteils verwehrt bleibt. Ein lebendiges Glaubenserlebnis steht kühler (inhaltsleerer) Rhetorik gegenüber. Die Wissenschaft radiert die Religion doch nicht aus.

Es bleibt: Ein Glaube, der glaubwürdig sein will, im Alltag wie im Religiösen, muss sich immer neu selbstkritisch befragen, um authentisch und glaubhaft in der Öffentlichkeit stehen zu können. Das gilt im Übrigen auch für die Gemeinschaften (Kirchen) selbst. Anders gewendet: Wir müssen immer wieder auch Glaubenserschütterungen erleben, um wachsen zu können, wahrhaft und wahrhaftig (!) in der Verkündigung des Glaubens zu sein, denn jeder von uns Christen steht in der Teilhabe am dreifachen Amt Christ.

Fazit: Abgesehen von sich immer mal wieder einschleichenden umgangssprachlichen Lässlichkeiten à la „der gute Mann, Laus über die Leber, Schraube locker“, ist die sprachliche Kompetenz auf hohem Niveau, sind die Redundanzen oft einem (unmerklichen) Perspektivwechsel geschuldet, der aus einem neuen Blickwinkel weitere Aspekte und Argumente beisteuert. Dabei geht es dem Autor weniger um die wissenschaftliche Beweiskette, als darum mit alltagsnahen Beispielen Bezug zur Lebenswirklichkeit herzustellen. Ein im besten Sinne des Wortes gelungener Essay, der die Ansprüche an die Form erfüllt, den Leser mitnimmt und auf angenehme, bisweilen auch spannende Weise mit einem Thema vertraut macht, das wir alle kennen ohne es je in der Tiefe zu durchdenken.

Ingo-Maria Langen, März 2020