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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Durch Schönheit zur Freiheit

Georg Schmidt
Durch die Schönheit zur Freiheit
Die Welt von Weimar-Jena um 1800

C.H.Beck Verlag, München 2022
Vor- und Nachsatzpapier mit Kartendrucken
384 Seiten, 29,95.- €

 

 

Welt im Umbruch

Die historischen Umwälzungen im Europa der Sattelzeit (Reinhart Koselleck) mit seinem beginnenden Transformationsprozess hin zu bürgerlich-kapitalistischen Formprinzipien trafen auf die Doppelstadt Weimar-Jena in ihrer Blütezeit. Bahnbrechende naturwissenschaftliche Erkenntnisse des 18. Jahrhunderts stießen auf die geistigen (Aufklärung) und sozialen Reformbewegungen sowie die grundstürzenden Entwicklungen in Nordamerika. Die Vernunft als universelle Instanz sollte mit starren Traditionen und Gewohnheitsrecht brechen, Freiheit mit Selbstbestimmung, religiöse Toleranz mit Emanzipation, Bildung und allgemeinen Menschenrechten (Bürgerechte!) verbinden. Der Staat sollte auf das Gemeinwohl verpflichtet werden, eine kritische Öffentlichkeit Triebfeder für Innovation und zugleich Hüter der Freiheit ihrer Bürger sein. Die Enzyklopädisten Denis Diderot und D’Alembert leisteten mit ihrem Hauptwerk „Encyklopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des artes et des métiers“ einen wichtigen Beitrag dazu.

Die Revolution von 1789 rüttelte noch an einer anderen Bastion: der katholischen Kirche. Sie hinterließ ein Trauma, das seinen Gipfelpunkt in der der  Laïcité, der Einbuße von Besitz und Macht der Kirche (Territorialverluste) erreichte. In reaktionären Kreisen prägte sich die Überzeugung, jene Unordnung nur über die Rückkehr zur einzig angemessenen Ständeordnung überwinden zu können. Hierzu gehörte auch das Erleben der Festsetzung wie der späteren Freisetzung Pius‘ VII. Der Papst als Fels in der Brandung. Eine Welt im Umbruch, alte Gewissheiten schwanden, neue Sicherheiten fehlten. Hinzu kamen die geopolitischen Auseinandersetzungen auf dem Kontinent bis hin zu Napoleons Russlandfeldzug.

Die binnenpolitische Lage im Reich war heikel. Das ernestinische Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach versuchte als Teil des Heiligen Römischen Reichs sich aus möglichst vielen Händeln herauszuhalten und stattdessen den Mittelpunkt der (europäischen) Klassiker zu bilden. In der Zeit zwischen 1780 und 1805 erlebte es eine stürmische geistig-politische Entwicklung, die getragen war von der Universität und der literarischen Szene. Schiller, Goethe, Wieland, Schlegel, Herder, Hölderlin, Fichte, Schelling, Mendelssohn oder Madame de Staël gehörten zu den ersten Kreisen jener Zeit.

Weimarer Klassik 

Diese oft zitierte Begrifflichkeit ist populär, wird in der Literatrutheorie zumindest unterschiedlich gefüllt. Zunächst gilt das Weimarer „Viergestirn“ (Goethe, Schiller, Wieland, Herder) ähnlich dem Wiener Dreigestirn (Mozart, Hayden, Beethoven) als Epochenrepräsentant. Enger gefasst wird darunter die Weimarer Zeit nach Goethes erster Italienreise (September 1786 bis Juni 1788). Dieser Unschärfe im Begrifflichen ist sicher auch der Titel „Die Welt von Weimar-Jena um 1800“ geschuldet. Zudem erfasst er das vielfältige Geschehen am Weimarer Hof, beschränkt sich nicht auf die Poetik, sondern nimmt ebenso die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen mit in den Blick. Zur bedeutendsten (und vieles entscheidenden) Bezugsfigur wird Goethe, der am 7. November 1775, gerade 26 Jahre jung durch das Erfurter Tor Weimar betritt. Eine kleine verschlafene Residenz, deren Bürger ab 23 Uhr ihr Nachtgeschirr auf die Straße entleeren durften, eine Kanalisation gibt es nicht. Goethe, in jener Zeit noch dem Sturm und Drang verhaftet, kennt Großstädte: Frankfurt, Leipzig, Straßburg sowie Wetzlar mit dem Sitz des Reichskammergerichts. Er wird diese kleine Residenzstadt bis zu seinem Tod 1832 in ihrer Gesamtentwicklung maßgeblich prägen, tritt noch im selben Jahr in den Beamtendienst, kümmert sich um den Straßenbau, die Finanzen und nicht zuletzt die Universität. Schmidt schildert pointiert und bildhaft das nahezu lebenslange Ringen Goethes um und in Weimar, seine Aufbauleistungen in Jena und die Kreativität dieses umtriebigen Geistes, der die Doppelstadt zu einem Zentrum geistig literarischer wie auch wissenschaftlicher Blüte trieb. Die Lektüre des anschaulich und angenehm lesbaren Bandes bezeugt, was wir schon zuvor wussten: ohne den „Fürstendichter“ (Schiller) wäre Weimer einem Dornröschenschlaf anheimgefallen. Schmidt arbeitet sowohl die politisch-gesellschaftlichen Strömungen als auch die Beziehungsgemeinschaften zwischen den Protagonisten der Residenzstadt heraus.

Durch Schönheit zur Freiheit

Bekannt sind die Reibungen, Kontroversen, aber auch die kreativen Ambivalenzen zwischen Goethe und Schiller, der Zeit seines Lebens sein rebellisches Herz kaum stillhalten konnte, während Goethe im dauerhaften Versuch von ‚Maß und Mitte‘ die Doppelstadt im Blick hielt, maß Schiller mehr den Ideen von Freiheit, Ich und Metaphysik Gewicht bei. Die Revolution war ihm immer wieder ein Anliegen. Das führte durchaus zu offenen Kontroversen, verhinderte beizeiten auch eine besoldete Professur Schillers in Jena. Damlas schon als kongenialer Autor bekannt, Don Karlos war bereits erschienen und gedruckt, konnte das Publikum den Antritt Schillers als Professor kaum abwarten.

Durch Schönheit zur Freiheit hieß den bíos theoretikós, weniger den bíos politikós in den Fokus zu rücken. Hier wirkte die Nikomachische Ethik in den Anspruch der Ästhetisierung des Schönen als Erziehungsideal für den Menschen hinein, um die Besserung der politischen Verhältnisse zu erwirken: letztlich die Möglichkeit auf den Verzicht des Staates, da die (hochgelbildeten) Bürger es selbst in der Hand hielten, ihre Gemeinschaft von Gleich zu Gleich verwalten und entwickeln zu können. Es war die Zeit des Deutschen Idealismus mit seinen Vertretern von (Kant) über Fichte, der später im Unfrieden aus Weimar schied, bis zu Schelling und Hegel. Die Philosophie des Idealismus hatte sich zum Ziel gesetzt einen umfassenden Gesamtenwurf aus Erkenntnistheorie, Logik, Metaphysik, Ethik und Staatslehre zu kreieren. Das hatte für ein Staatswesen nur dann Aussicht auf Erfolg, konnten seine Bürger daran in ausreichendem Maß teilhaben. Das allgemeine Bildugnsniveau war jedoch niedrig und selbst in bürgerlichen Kreisen hielt sich das Interesse an der schwierigen Materie in Grenzen. Schmidt zeigt gut auf, wie die wirtschaftlichen Bedingungen zu jender Zeit die Last des Alltags bestimmten, die einfachen Leute kaum über die Runden kamen. Gleichwohl war etwa Schiller überzeugt, dass mit maximaler Anstrengung des Staates ein Bildungsniveau erreichbar wäre, welches den Figuren seiner Stücke eignete, die für ihre Ideale Tod und Teufel in Kauf nehmen. Ganz im Sinne der aristotelischen Traditon warb Schiller dafür, die Bühne als anschauliche Bildungsform zu erkennen, die tiefste Ergriffenheit, große Empörung und Solidarisierung ermögliche, bis hin zur Katharsis von Figuren und Publikum. Schmidt merkt dazu an: „In vielen von Schillers Werken gerät die Freiheitsidee unter Druck eines tragischen Geschicks und geht unter. In die Die Räuber führt der Freiheitsdrang ins Chaos, im Fiesko wird der Freiheitsheld zum Despoten, in Kabale und Liebe bleibt die Freiheit dem Jenseits vorbehalten.“

Schiller wusste um die Diskussion der Einhegung von Herrschaft über Gesetze. Er ergänzte: Es müssten auch die bürgerlichen Tugenden hinzukommen, um die Vision idealisierter Gemeinschaften in Frieden und Nationen in Brüderlichkeit, schlicht „Menschenfreiheit“ zu realisieren. Dabei blieb es jedoch nicht. In den Horen, einer Literaturzeitschrift, erschienen bei Cotta in Tübingen, setzte Schiller seine Ästhetisierung auseinander, band sie an politische Teilhabe für die Bürger und sprengte so die konventionellen Vorstellungen von Macht und Herrschaft, die freilich schon in der Antike diskutiert wurden. Die Horen sind die Töchter des Zeus und der Themis und damit eines höheren Personals der antiken griechischen Sagenwelt. Sie sind Göttinnen des Schönen, der Jahreszeit und der Ordnung. Ein programmatischer Anspruch.

Diese Erwartungshaltung wurde unter anderem von Herder getützt. Auch er forderte, das Herzogtum solle sein Geld nicht in Architektur und Gärten investieren, sondern in die Bildung der Menschen. Eine ehtisch-moralische Normsetzung, die zwar in elitären Kreisen gut ankam, die Untertanen in der Tiefe und Breite jedoch verfehlte. Hier wurde (ähnlich bei Fichte) eine Staatsgrammatik postuliert, der keine Sozialgrammatik korresponiderte. Interessant in diesem Zusammenhang: der Verleger Friedrich Justin Bertuch. Er gründete zusammen mit Hufeland die Allgemeine Literatur-Zeitung, die Typographische Societät (mit Wieland) und gab später das Journal des Luxus und der Moden heraus. Damit lieferte er eine Gegenwelt zur elitären Ästhetik der Weimarer Klassik. Er wusste die Bedürfnisse seiner Leser zu bedienen und neue zu wecken. Bertuch baute sich zügig ein wirtschaftliches Imperium auf, das neben Handelsgeschäften, Kleidung, Schmuk und Möbel sowie Bücher umfasste, schließlich noch ein Kreditgeschäft. Schmidt schildert die Verflechtungen der einzelnen Strömungen im Herzogtum und der Doppelstadt anschaulich, der Leser folgt dem Hin- und Herwogen der Entwicklungen gerne nach, und blickt zum Schluss doch auf eine einzige Figur, die über lange Strecken alles bewegte: Goethe. Er war der Bewahrer, der Moderator, Initiator.

Nicht verschwiegen werden sollen die dunklen Seiten idealistischer Ideengeschichte. Mit den Studenten, die Geld an die Universitäten und in die Städte brachten, kamen die Studentenverbindungen auf. Sie bildeten sich oft zu einem Ärgernis heran, wenn die öffentlichen Sitten arg strapaziert wurden. Die zunehmende Politisierung und die um sich greifende Romatisierung, in der „gefühlte Wahrheiten“ jene der Tatsachen und Logik ablösten, um über einen primitiven Nationalismus breite Volksschichten für revisionistische Geschichtsziele zu erreichen, rückte von den Klassikern ab. Diese vielfältigen Bewegungen legten den Keim für nationalistische Hetze, Freund-Feind-Denken bis hin zu den nationalen Vereinigungen des späteren Kaiserreichs. Sie waren das Gift, das Hindenburg und die illiberalen Kreise als Dolchstoßlegende verbreiteten und letztlich dem Faschismus den Weg bereiteten. Schmidt schreibt: „Obwohl Goethe vor der Vermengung des Fiktiven mit dem Wirklichen stets gewarnt hatte, berief sich das gebildete Bürgertum im 19. Jahrhundert auf das Wahre, Gute und Schöne, um sich von der Masse abzuheben. Das war der Sündenfall. Die Distanz einer führenden Schicht zur Politik war einer der Faktoren, der in Deutschland den Rückfall in die Barbarei ermöglichte.“

Ingo-Maria Langen, März 2022