Anthony McCarten
Die zwei Päpste
Franziskus und Benedikt
und die Entscheidung,
die alles veränderte
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Diogenes Verlag
Zürich 2019
400 Seiten 24.- €
Zusammenfassung:
Wie kommt man ins höchste Amt der katholischen Kirche? Durch die Wahl im Konklave. Sofern der Heilige Geist an der Seite des bevorzugten Kandidaten steht. Doch häufig wird der nicht gewählt, fällt die Wahl auf einen Außenseiter, den kaum jemand auf dem Zettel hatte. Und sie wird oft erst auf den letzten Metern entschieden. Das Buch erzählt die Geschichte zweier noch lebendiger Päpste, die nicht im Schisma zueinander und doch mit allen Rechten und Pflichten im Amt stehen. Benedikt, der Emeritus, Franziskus der amtierende Amtswalter. Wie beide die neueste Kirchengeschichte beeinflussen ist Gegenstand dieses ungewöhnlichen Buches.
Anthony McCarten, geboren in Neuseeland, schrieb bereits als 25-Jähriger zusammen mit Stephen Sinclair den Theaterhit Ladies Night. Es folgten Romane und Drehbücher. Zuletzt das Drehbuch zu Darkest Hour, verfilmt mit Gary Oldman, der für seine Rolle als Winston Churchill den Oscar erhielt.
Stefanie Schäfer übersetzt Bücher aus dem Niederländischen, Afrikaans, dem Englischen und Französischen. Sie ist mehrfach ausgezeichnete Preisträgerin.
Der Weg zum Papstamt wird mit den Sünden der Menschen beschrieben
Es gibt wenige Nachrichten, die für eine Zäsur sorgen, die uns über eine längere Zeit begleiten, die für eine neue Ausrichtung, einen frischen Blick auf die Dinge taugen, zumal in der Kirchengeschichte. Der 11. Februar 2013 war so ein Tag. Papst Benedikt XVI verkündete seinen Rücktritt. Stille. Die Unfassbarkeit, die Ungeheuerlichkeit dieser Ankündigung, sie stiftete in den Köpfen und Herzen der Katholiken weltweit – ganz sicher aber nicht nur bei diesen – große Verwirrung, vielleicht sogar Angst.
Wollen wir die Hintergründe dieser Entscheidung, die den Endpunkt einer systemischen Entwicklung war, verstehen, lohnt es ihren vermeintlichen Ausgangspunkt in den Blick zu nehmen: das Konklave 2005. Jorge Mario Bergoglio rückt im Alter von achtundsechzig Jahren weit auf die vorderen Plätze vor. Die Welt beschäftigt sich auf einmal mit dem in Europa kaum bekannten „Slum-Bischof“ aus Buenos Aires, dem man schnell jene Empathie nachsagt, die Joseph Ratzinger noch bis in seine späten Jahre abzugehen scheint. Dieser setzt sich sozusagen erst auf der Zielgeraden gegen Bergoglio durch, den man als zu reformistisch, dazu noch vom lateinamerikanischen Kontinent als zu politisch und damit innerkirchlich zu riskant befindet. Obschon bei näherem Hinsehen die Unterschiede zu Ratzinger nur graduell sind: auch Bergoglio lehnt Abtreibungen, gleichgeschlechtliche Ehen oder Adoptionen gleichgeschlechtlicher Paare ab.
Die genreüberschreitende Form, die eher einem großen Essay, denn einem Sachbuch gleichkommt, führt den Leser in einer Art biografischer Synchronopse durch die Entwicklungen beider Päpste, die schließlich in der Wahl von Franziskus kulminieren. Diese erweist sich, vom Ende des Buches her gelesen, möglicherweise als strategisch komponiert. In wechselnden Abschnitten greift die Darstellung McCartens dazu bis in die Kindheitsgeschichte beider Männer zurück, deren geistliche Werdegänge auf beiden Seiten dunkle Schatten werfen, die für den Leser zwischen den Zeilen die Frage ins Spiel bringen: Was für ein Mensch muss ein zukünftiger Papst sein? McCarten bleibt diese (und ähnliche) Überlegungen schuldig, die im Rahmen eines Sachbuchs sicherlich zu klären gewesen wären.
In seiner „Prolog“ genannten Einführung geht McCarten derzeit (wieder) aktuellen Fragen nach: Wie kann ein zölibatär lebender Priester, der die Gnade des Zölibats mit der Kasteiung seiner Sexualität „erkauft“, seine Schäfchen in diesen Fragen beraten oder gar beurteilen? Was ist mit denjenigen Priestern, die ein „Doppelleben“ führen, weil sie diese Last nicht aushalten? Wenn Adam und Eva nach Bergoglio nur als Gleichnis und keinesfalls wörtlich aufzufassen sind, was berechtigt die Kirche dann, nur zölibatär lebende Priester zu ermächtigen, die Sakramente zu spenden? Die impliziten Fragen nach dem Diakonat der Frauen oder dem Frauenpriestertum lauern im Hintergrund. Nicht ganz stichhaltig ist hingegen die Annahme, die „Unfehlbarkeit“ des Papstes, die in formalisierter Art nur auf wenige Lehraussagen während eines Pontifikats zutrifft, sei ein Gradmesser für Verlässlichkeit der Urteilsaussage. Sie ist aber auch umgekehrt keine schlusslogische Komponente für Fehlbarkeit. Anders gewendet: Kann ein emeritierter Papst dem amtierenden Papst den Anspruch auf die Autorität seines kirchlichen Lehramtes streitig machen? Ja, das könnte er, denn er existiert ja mit allen Rechten und Pflichten, allerdings weder an seiner Seite, noch in seinem Hintergrund. McCarten gibt dazu an später Stelle den Einwurf eines Fachmanns wieder: Da der Papst durch die Wahl der Kardinäle unter Hinzugabe des Heiligen Geistes gewählt wird und so durch ‚ein göttliches Element‘ ein Empfangender ist, kann er dies auch nicht mehr „zurückgeben“ (via Rücktritt). Er bleibt also in der Empfängerposition, zumal sie auch auf die Kirche als Ganzes ausgeweitet ist. Der nächstgewählte Papst steht (nach gleichem Prozedere) demgegenüber aber wie ein Anti-Papst. Die „Macht“ des Alten gilt fort. „Gelöst“ haben Benedikt und Franziskus das über den unbedingten Treueeid Benedikts seinem Nachfolger gegenüber. Gleichwohl: es ließe sich denken, dass der Vorgänger den Nachfolger „exkommunizieren“ könnte, sofern kanonische Sachverhalte dazu Anlass gäben. Eine interessante Konstellation. Die darin liegende Sprengkraft zeigte sich auch auf diese Weise: bei einem verweigerten Vorwort Benedikts zur Herausgabe von Franziskus Werken. Daraus entwickelte sich ein veritabler Skandal um einen Brief Benedikts, der redigiert und verkürzt wurde. Hinzu kam, dass Benedikt sich über einen Autor der Reihe beklagte, der zur „Kölner Erklärung“ als Kritiker seiner Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Glanz der Wahrheit) gehörte, weshalb das Vorwort aus seiner Feder zusätzlich ausgeschlossen war.
Man könnte diese (und ähnliche Reaktionen) nun als Petitessen abtun. Das ginge jedoch fehl. Und es gründet in den so gegensätzlichen Sozialisationen der beiden Päpste. Hier: Joseph Ratzinger, im behüteten bayerischen Umfeld aufgewachsen, die Familie sehr katholisch und harmonisch, der Knabe früh auf den Spuren des älteren Bruders, bald sicher, Priester zu werden. Die Eltern mit Stolz erfüllt. In der Nazi-Zeit erfährt die Familie viele Repressionen, schließlich wird Joseph zu Kriegsende noch eingezogen, muss als Flakhelfer an die Front. Nach Kriegsende beginnt für ihn ein geschlossener Kirchenkosmos, der ihn bis zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre (CDF) führen wird. Als persönlicher Vertrauter von Papst Johannes Paul II wird er von diesem protegiert, denn Ratzingers Brillanz als Theologe ist legendär. Als Kardinal wird ihm seine Unnachgiebigkeit und Prinzipientreue, manche sagen auch sein Erzkonservatismus, zum Makel, man tituliert ihn als „Panzerkardinal“. Seine kirchlichen Verfahren gegen Hans Küng oder der Kreuzzug gegen die „Befreiungstheologie“ aus Lateinamerika tragen wesentlich dazu bei. Dort: Jorge Mario Bergoglio, in schwierigen Verhältnissen einer italienischen Auswandererfamilie in Argentinien groß geworden. Sein liebevolles Elternhaus behütet die Kinder sehr gut, die Mutter wünscht sich, er möge Medizin studieren. Doch Jorge findet den Weg in die Kirche, was die Mutter sehr schmerzt, der Vater sieht es pragmatisch und Nonna Rosa freut sich mit ihm. Die Karriere nimmt einen außerordentlich guten Verlauf, bis hin zur Ernennung als Provinzial des Jesuitenordens. Hier beginnen die dunklen Schatten, die sich über das weiße Papstkleid legen. Ganz so wie Ratzinger sich in Kämpfe verstrickt und Menschen das Leben verleidet oder sie aus der Kirche wirft, verstrickt sich Bergoglio über die politischen Wirren in Argentinien mit der Junta. In der Zeit des „Schmutzigen Krieges“ unter General Jorge Vidal, dem auch die alte Freundin Bergoglios, Esther Ballestrino de Careaga zum Opfer fällt, scheint er als Ordensoberer in Argentinien zwischen Kirche, Orden und Militärjunta zu lavieren. Die Ordensbrüder Franz Jalics und Orlando Yorio werden von der Junta verhaftet, weil sie in Verdacht stehen, mit ihrer Arbeit in den Slums Kontakte zum Movimento Peronista Montonero, einer Art Stadtguerilla, die aktiv gegen die Junta kämpft, zu haben. Sie werden von Mai bis Oktober 1976 in der berüchtigten ESMA, einer zum Folterlager umgebauten Marinetechniker-Schule, gefoltert. Nach ihrer Freilassung erheben sie schwere Vorwürfe gegen Bergoglio: er habe ihnen den Schutz des Ordens entzogen, indem er sie, ohne dies anzuzeigen, im Mai 1976 ausgeschlossen oder sogar selbst bei der Junta angezeigt habe. Die Geschichte ist komplex und undurchsichtig. Ohne Zweifel hat Bergoglio sich aber für die Freilassung einbringen können. Andere Vorwürfe gegen ihn lauteten, er habe von der Entführung Schwangerer und Kindesraubes in dieser Zeit gewusst, aber nichts unternommen. Im Militärprozess von 2011 war er dazu als Zeuge geladen, konnte aber nicht wirklich zur Aufklärung beitragen. Viele Erinnerungslücken verhinderten das…
McCarten weist zu Recht auf die groben handwerklichen Fehler beider Pontifikate hin: Die Einstellung zu Homosexuellen, die Regensburger Rede, Wiedereinführung der Tridentinischen Messe, Aufhebung der Exkommunikation gegen die Pius-Brüder (Benedikt). Den brüsken Führungsstil von Franziskus, das Abkanzeln der Kurie bis hin zum umstrittenen Apostolischen Schreiben „Amoris Laetitia“. Auch das undeutliche Schreiben zum „Synodalen Weg“ der deutschen Bischöfe aus diesem Sommer trägt nicht dazu bei eine große päpstliche Vision zu zeichnen. Vielleicht aber ist es dies: Franziskus ist als Reformer in seinen Grundauffassungen eher graduell verschieden zu Benedikt. Dies zeigt sich gut an zwei Beispielen: seine (scheinbare) Offenheit gegenüber Homosexuellen sowie der Stellung der Frau im Kirchenamt. Beides steckt fest in einer Reformkrise. Fehlt Franziskus die dazu notwendige Reformüberzeugung oder auch die ebenso notwendige Durchsetzungskraft gegenüber der Kurie, der Weltkirche, den Zivilgesellschaften? Das führt zu der Überlegung: Wird hier von langer Hand die grundlegende innerkirchliche Veränderung vorbereitet, die ein Nachfolger erst ins Werk setzt? Unter den 61 von ihm ernannten Kardinälen sollte sich einer dazu finden lassen. Personalentwicklung nennt man das…
Fazit: Ein brillant und flott geschriebenes Buch, das sich leicht liest und in seiner Anlage als Gegenüberstellung zweier Päpste, die „unter einem Dach“ leben, entfernt an die Doppelbiografien Plutarchs erinnert. Das neben Fakten auch an Anekdoten reiche Buch eignet sich bestens für ein Drehbuch, das McCarten für eine Netflix-Produktion, die zu Weihnachten kommt, schon geschrieben hat. Hier wie dort lautet das Resümee: Benedikt hat mit Franziskus den „Reformer“ geliefert, der er selbst nicht sein konnte. Als Sachbuch findet „Die zwei Päpste“ allerdings nicht das richtige Regal.
Ingo-Maria Langen, November 2019