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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Die Sparsholt-Affäre

Alan Hollinghurst
Die Sparsholt-Affäre
Roman

Karl Blessing Verlag
1. Auflage, München 2019,
Übersetzung: Thomas Stegers
542 Seiten, 24.- €

 

 

Zusammenfassung:
Erzählt wird eine generationenübergreifende Geschichte, beginnend im England der vierziger Jahre, in Oxford im Christ-Church College während des Krieges, über die sechziger Jahre bis 2012. – Johnny, der offen schwul lebende Sohn von David Sparsholt, etabliert sich in der Kunstszene Londons. Homosexuelle Handlungen, damals so verpönt wie strafbewährt, rahmten einen Skandal ein, der mit männlicher Prostitution und Betrug verbunden war. Die gesellschaftliche Erschütterung schlug auch deshalb so hohe Wellen, da ein Parlaments-Abgeordneter und die Londoner Geschäftswelt involviert waren. – In dichter Atmosphäre berichtet der Autor über einen Kreis von Freunden, die, durch Kunst, Literatur und Liebe verstrickt, unbewusst gesellschaftliche Veränderungen in England anstoßen, die bis ins Heute nachwirken. Mit feiner Figurenzeichnung gelingt es Hollinghurst, das was uns alle verbindet, mit Charme und britischem Humor dem Leser auf einem gesellschaftlich glatten Parkett vorzustellen.

Alan Hollinghurst, britischer Autor, Preisträger des Somerset Maugham Award, Gay and Lesbian Book Award oder auch des Booker Prize (The Line of Beauty), zählt zu den herausragenden Schriftstellern der zeitgenössischen britischen Literaturszene.

Es ist die Zeit von „The Blitz“, der Bombardierung Englands durch die deutsche Luftwaffe, mit der Hollinghurst die Handlung beginnt. In einem ausgesuchten Kreis junger Männer (und weniger Frauen) wird eine Zeit für den Leser lebendig, die heute vergessen scheint: Das abendliche Verdunkeln, die ausgeschaltete Straßen- und Gebäudebeleuchtung, abgeklebte Taschenlampen, Nachtwache auf Aussichtspunkten. Bereits an diesem Punkt der Handlung wird die Erzählkunst des Autors augenfällig: Mit einem zart ironischen, eben ganz britischem Timbre, entfaltet sich eine empfindsame, aber doch fragile, letztlich tragische Liebesgeschichte. Evert Dax, Sohn eines berühmten britischen Schriftstellers und Kunstsammlers, der selbst Ambitionen in der Literatur verfolgt, nähert sich David Sparsholt, einem muskelbepackten Rudersportler, der seinen Körper wie eine Skulptur modelliert, was den Beobachtern nicht nur zum Interesse gereicht, sondern Evert auch zur persönlichen Annäherung. Spätestens nachdem ihn Peter, der Maler im Kreis, porträtiert hat, gibt es kein Halten mehr. Alle wollen in Davids Nähe, der diese Aufmerksamkeit erst komisch findet, sie dann aber durchaus genießt. Und doch ist das Tragische der Situation eingeboren: David ist mit Conni zusammen, die er später auch heiraten wird. So ist das Porträt, das Peter entworfen hat, zwar dasjenige eines „Halbgotts, vom Hals bis zum Knie, das Geschlecht durch einen verschmierten Fleck angedeutet, so konventionell wie ein Feigenblatt, während der Hals sich ins Nichts öffnete, wie der Kelch einer Blüte“, was Assoziationen an einen römischen Gladiator mit breiten Schultern und blauen Adern auf den Oberarmen weckte. Aber mehr als einen schmalen Übertritt in die im doppelten Sinn kunstvoll durchströmte Gegenwelt wird David sich nicht erlauben.

 

Leitmotiv der ‚Bildenden Kunst‘

Schönheit und Unschuld sollen in der Gestalt des David Sparsholt zum Symbol des literarischen Werkzeugs werden, mittels dessen sich das Leitmotiv der Sehnsucht eines erfüllten Lebens in den Zwängen einer konventionellen Gesellschaft Bahn bricht. Gleichwohl bleibt die Partitur für David bereits im ersten Satz stecken, während sein Sohn Johnny versucht, den Klang und die Faszination eines freiheitlichen Lebens für sich in praktische Tonmalerei umzusetzen. In dieser Weise gelesen wird die bildende Kunst eine (be)drückende Metapher zur Vergänglichkeit des Lebens. Aus einer anderen Perspektive liest sie sich als emblematische Literatur, der Gattung ‚Gay literature‘, ihrer Zeit weit voraus. Sinnbildhaft am homosexuellen Maler Peter Coyle herausgestellt. Der Porträtmaler muss in Kriegszeiten Tarnanstriche für die britische Armee ausführen. Das Emblematische springt den Leser an: Tarnen und Täuschen gehört (nicht nur) in dieser Zeit zum Leben, es begleitet uns in einer bigotten, homophoben Gesellschaft bis heute. Das Vorbild für diese Geschichte erinnert an den Skandal um Edward Douglas-Scott-Montague, 3.Baron Montague of Beaulieu, der 1954 zu einer zwölfmonatigen Haftstrafe für ‚gemeinschaftliche homosexuelle Verstöße‘ mit zwei Mitgliedern der Royal Air Force bei einer Wochenendparty verurteilt wurde. Gleichfalls interessant sind die Bezüge zur sog. „Profumo-Affäre“ von 1962/63.

 

Kulturgeschichte einer Teilgesellschaft

In den fünf Blöcken der Erzählung gelingt es Hollinghurst den schmerzhaften Prozess der Emanzipation dieses Teils der englischen Gesellschaft zu erzählen, der bis heute (wie überhaupt in sehr vielen Ländern Europas) nicht abgeschlossen ist. Eingebettet in diesen Glutkern sind Fragen zur sozialen Herkunft, Klasse und Macht. Nur angedeutet bleibt ein Archetyp der Literatur: Der Vater-Sohn-Konflikt, von Thomas Mann oder Franz Kafka bis zu Martin Osterberg oder Arno Frank immer wieder neu variiert. Bei Hollinghurst findet sich eine prägnante Doppellinie: Der Vater von Evert Dax mit seiner bürgerlich-abgehobenen Schriftstellerexistenz und der schwule Sohn, der seinen Platz in dieser Gesellschaft sucht. Dann Johnny, Davis Sparsholt’s Sohn, der sich seinen Platz zu erkämpfen scheint. Beide (potenziellen) Spannungsbögen zu einer internen Geschichte beleuchtet der Autor leider nicht, obschon gerade dieses (durchaus sehr unterschiedliche) Spannungselement dazu herausgefordert hätte. Stattdessen lesen wir von Johnnys Eskapaden in der Londoner Bohemien-Szene, seiner Beziehung zu einem lesbischen Paar, während der alternde David Sparsholt, Kriegsveteran und Unternehmer, für einige Zeit ins Gefängnis geht.

 

Bei all den unterschiedlichen Entwicklungen gelingt Hollinghurst eine Feinzeichnung seiner Figuren, die sich in der Sprache der Akteure fortsetzt. Ihr Romantizismus ist zugleich Geistes- wie Seelenhaltung, wenngleich stark hormonell angeregt: „Furchtbar, das Gefühl, erwischt worden zu sein. Es bedeutete die skandalöse Bloßstellung seines Begehrens.“ Doch auch das heterosexuelle Begehren von Freddie Green zu Jill ist von ähnlichen Widrigkeiten betroffen, wie unter den Männern: „(…) ich merkte, dass mir die ganze Situation, die so innig angefangen hatte, in zwanzig Minuten vollkommen entglitten war. Jetzt hielt sie umgekehrt mich zum Narren, mit ihrer Bewunderung für diesen Teenagerstar, in dessen dumpfem, kantigem Gesicht sie meine Schönheit zu erkennen glaubte, wo ich Kulturlosigkeit sah und die vorwitzige Gleichgültigkeit gegenüber allem, was Jill und ich hochhielten. Mit gequältem Grinsen sagte ich: ‚Gut dann gehen wir eben tanzen. Ich führe dich aus.‘“

 

Schließlich kippt die Entwicklung für einige Figuren ins Tragische. Johnnys Vater gerät in den Sog der Affäre, wird gesellschaftlich ruiniert, die Ehe scheitert. Johnny gerät in die oszillierenden Spannungen zwischen gesellschaftlicher Ablehnung und der Anerkennung des Milieus. Im Jahr 2012, angekommen bei den allfälligen Helferlein von Tinder, Instagram & Co., endet der Bogen einer Zeitreise schwulen Gesellschaftslebens. Es fällt auf, dass etwa der junge David Sparsholt, der von Evert Dax Geld für sein körperliches Entgegenkommen nimmt, gerade darüber in der späten Zeit zu Fall kommt. Sein Geschäftsgebaren wird ihm zum Verhängnis. Da trifft es sich gut, die nie ganz aufgeklärte Affäre aus der Gesellschaft im Roman ebenfalls zu verwischen. Denn jeder Künstler erschafft sein Werk aus eigenem Interesse und mit Bezug auf sein Publikum. Zweifel sind beidem inhärent.

Fazit: Genre-Literatur, bestens erzählt, mit britischem Humor und gebrochenen Figuren, die zum Nachdenken und Mitempfinden anregen. Die Jagd nach Liebe (Heinrich Mann) und Anerkennung (im So-Sein) in einen großen Geschichtsbogen gekleidet, dessen Narrativ noch lange nicht auserzählt ist.

 

Ingo-Maria Langen
Juni 2019