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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Der Pakt gegen den Papst

Andreas Englisch
Der Pakt gegen den Papst
Franziskus und seine Feinde im Vatikan

Bertelsmann, München 2020
416 Seiten, 22.- €

 

 

 

Feature

Andreas Englisch, seit über dreißig Jahren Vatikanjournalist. Seitdem hat er die amtierenden Päpste oft auf Reisen begleitet+, über die Pontifikate geschrieben, die Vorgänge im Vatikan kommentiert. Er hat mehrere Bücher zur katholischen Kirche, zum Vatikan und den Päpsten veröffentlicht.

Die verpasste Schlacht von Santo Domingo

Mit dem Beginn des Pontifikats von Franziskus verbindet sich auf der einen Seite Hoffnung nach Aufbruch, einer Reform der katholischen Kirche, die dem Selbstverständnis sich verändernder Gesellschaften Rechnung trägt und zugleich ihren Kern als Institution und Hüterin der christlichen Lehre bewahrt. Auf der anderen Seite herrscht die diametrale Auffassung vor, dass alles was vom Text der Schrift abweicht, von den Deutungsmustern der Kirchenväter divergiert, nicht zu den (erfundenen) Traditionen passt, als häretisch gilt: dazu zählt gerade auch die Idolatrie.

Bleiben wir zunächst noch bei der „Erfundenen Tradition“. Ein Begriffspaar, das von Eric Hobsbawm und Terence Ranger zu Beginn der achtziger Jahre in die Diskussion eingeführt wurde. Dabei handelt es sich um imaginierte, also in der jeweiligen Gegenwart konstruierte Sitten und Gebräuche, die a limine eingeführt und rückprojiziert auf die Vergangenheit als historische Fakten erscheinen sollen. Auf diesem „Fundament“ bauen diese Traditionen dann auf. Je unsicherer die historische Quellenlage, desto reizvoller und einfacher erscheint dieses Vorgehen. Hubert Wolf hat das jüngst in zwei Publikationen nochmals nachvollzogen (H. Wolf: Der Unfehlbare, Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus, C.H.Beck 2020; „Die Erfindung des Katholizismus – Vor genau 150 Jahren wurde während des I. Vatikanischen Konzils eine Behauptung als von Gott geoffenbarte Wahrheit ausgegeben, die bis dahin ausdrücklich als falsch gegolten hatte: dass der Papst allein, ohne Rückbindung an einen Konsens der Bischöfe und die Glaubensüberzeugungen der ganzen Kirche, unfehlbare Entscheidungen fällen könne. Ein nachgerade klassisches Beispiel für Identitätssicherung durch ‚invention of tradition‘.“, FAZ 03.08.2020, S. 6). – Auf diesem Hintergrund lassen sich Verschwörungsfantasien entwickeln, die davor warnen die Heilige Mutter Kirche sei in größter Not, weil der Antichrist sich ihrer bemächtige, weshalb Einzelne oder Gruppen stigmatisiert, ausgeschlossen oder kaltgestellt werden müssen.

Dem versucht der Autor – in gewohnter Weise – nachzugehen. Dabei bilden sowohl klassische Quellen im Vatikan, als auch Vertraute in dessen Umgebung bzw. mehr oder minder zugängliche Dokumente den Faktenrahmen. Insbesondere bei den indirekten Quellen, etwa Gesprächspartner ohne Namen oder Zuordnung gestaltet sich die Nachvollziehbarkeit schwierig, weil der Leser einzig auf die Plausibilität der ausgereichten Informationszusammenhänge angewiesen ist. Bei einer Trutzburg der Informationspolitik (trotz neu geschaffenem Medienressort) ist das ein heikles Unterfangen. Zudem führt die unübersichtliche Personalpolitik des Staatssekretariats oder anderer Dikasterien oft dazu, dass von einem auf den anderen Tag Fachleute nicht mehr ansprechbar sind, weil sie über den Globus versetzt wurden. Diese Fachleute, weit unterhalb der Kurie sind aber diejenigen, die die Kernerarbeit leisten. Die nur grob umrissene Ausgangslage für den Autor ist in der Praxis noch komplexer. Insoweit ist der Leser auf das Vertrauen in den Journalisten angewiesen.

Kommunisten und andere Umtriebe

Bereits unter dem „heiligen Pontifikat“ Johannes Pauls II. gab es großen Unmut über die Entwicklung in Lateinamerika. Dort konnte die Bewegung der Theologie der Befreiung unter den armen und benachteiligten Menschen Anklang finden, weil sie ihre praktische Lebenssituation in den Blick nahm. Aus der Sicht des damaligen Papstes war das nicht nur der falsche Ansatz, sondern geradezu eine Unterwanderung der Kirche. Er hielt die Theologen der Befreiung sowie den gesamten lateinamerikanischen Episkopat für eine kommunistische Unterwanderung. JP II projizierte sein polnisch geprägtes Weltbild eins zu eins auf Lateinamerika. Zu Beginn der neunziger Jahre sollte Kurienkardinal Afonso López Trujillo der CELAM (lateinamerikanischer Bischofsrat) ihre Befugnisse beschneiden und die kommunistischen Umtriebe unterbinden. In diesem Vorhaben unterstützt wurde er auch durch Joseph Ratzinger, seinerzeit Prälat der Kongregation für die Glaubenslehre. Durch außerordentliche Umstände kam es nicht dazu, denn Trujillo erkrankte vor der Reise, die Schlacht von Santo Domingo fand nicht statt. Damals war auch ein gewisser Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien mit den Vorgängen befasst.

Im Jahr 2006 hatte Benedikt XVI Kardinal Claudio Hummes aus Brasilien zum Präfekten der Kongregation für den Klerus und damit zum Chefpriester gemacht. Noch vor seinem Amtsantritt erklärte Hummes, dass Ehelosigkeit der Priester kein Gesetzt Gottes sei, sondern der Kirche diene und deshalb auch abgeschafft werden könne. Ein Aufschrei des Entsetzens folgte.  Als nun Franziskus die Nachfolge von Benedikt antrat, nahm er Hummes mit auf die Benediktionsloggia. Ein Statement und ein Affront gegen die Hardliner. Obschon Begoglio selbst durchaus kritisch gegenüber der Theologie der Befreiung ist, so sieht er doch die Lebensbedingungen, die er auch als Bischof nahe erlebt hat. Daraus entwickelte sich ein weit größeres Problem für die Arrivierten im Vatikan: bereits vor der Wahl geht es darum einen Posten zu ergattern, der möglichst nicht dem neuen Pontifikat zum Opfer fällt. Es werden von den alten Dienstherren also noch Umbesetzungen vorgenommen, die die Zukunft ihrer Schützlinge sichern sollen. Doch das interessiert Franziskus wenig. Er legt es darauf an, auch langediente Fachleute „an die Front“ zu schicken, also in die Gemeinden vor Ort, wo sie den einfachen Gläubigen zur Seite stehen sollen, oft aber gemobbt oder instrumentalisiert werden.

Wir begegnen damit mehreren Fraktionen, die ihr eigenes Profil, ihre eigenen Interessen, ihre eigene Lobby pflegen: neben den Konservativen, den Progressiven und den Homosexuellen. Als Gruppe nicht homogen, in ihrer persönlichen Betroffenheit aber gleichwohl, hat insbesondere das „schwule Pontifikat“ Benedikt XVI. dazu beigetragen, dass sich diese Gruppe – wohl gegen innere Überzeugungen – zu einer Lobby zusammenschloss. Eine lange Zeit hatte es den Anschein, dass der Schwulenhass, den insbesondere eine hochgestellte Persönlichkeit wie Monsignore Krzystof Charamsa, in seinem Buch „Der erste Stein“ (C. Bertelsmann, 2017) nach seinem Coming-Out 2015 vorstellte, ein Zentralmotiv für sowohl theologische als auch personelle Entscheidungen in sich trägt. Das mag zunächst verwundern, hat aber systemische Gründe.

Zum einen sieht die katholische Katechese vor, dass es keine Abweichung vom christlichen Familienideal geben kann. Abweichendes wird als widernatürliche Störung göttlicher Ordnung klassifiziert und damit ausgeschlossen. Auch deshalb trafen die Kirche die Missbrauchsfälle so hart, weil sie gegen ihr eigenes göttliches Leitbild verstießen. Zum anderen sitzt der Hass auf alles Abweichende, das gern als häretisch gebrandmarkt wird, tief. Es gibt Homosexuelle im Vatikan, die sich um ihrer Anlage willen selbst hassen, sich bis zum Verleugnen disziplinieren und letztlich doch an sich (oder eben der göttlichen Schöpfung ihrer selbst) scheitern. Dazu erzählt Englisch ein beeindruckendes und berührendes Beispiel eines älteren Professorenpaars. Einzelne wurden immer wieder persönlich verfolgt, aus ihren Ämtern entfernt, schutzlos ausgeliefert, denn materiell blieb ihnen nichts. Darüber hinaus waren sie für andere Tätigkeiten, zumindest in Rom, verbrannt. Kein Bildungsträger, keine Akademie, keine Zeitschrift nahm sich ihrer an. Das gilt wohl noch heute. Eine Lage, die aus Verzweiflung dazu nötigte, sich zu organisieren, auch eine Lobby zu bilden. Erst im Zuge der Hatz auf diese Priester entwickelte sich ein Netzwerk wie Englisch anschaulich schildert.

Die Existenz von Lobbys im Vatikan wird nachdrücklich bestritten. Zu ihr gehören aber noch zwei weitere Gruppen, die besondere Interessen teilen: da ist jene Gruppe des alten Hochadels Italiens (wahrscheinlich Europas) und die jene der Hochfinanz, die beide bestens vernetzt sind. Da Franziskus auch in diesem Bereich aufgeräumt hat, also sich die Vatikanbank vornahm, um dort erhebliche Umbesetzungen und Kontrollmechanismen vorzusehen, sind Transaktionen über das IOR noch schwieriger, aber nicht unmöglich geworden. Das zeigt der Immobilienskandal mit einem Asset in London, das den Vatikan mittlerweile mehr als 350 Mio. Euro gekostet haben soll. Gianluigi Torzi als Drahtzieher wird selbst über die Vatikanpresse adressiert.

Nachdenklich stimmt auch die Begegnung von Englisch mit drei katholischen US-Amerikanern in Frankfurt und ihre Selbstsicht als hart arbeitende, Steuern und Abgaben sowie Spenden zahlende Middle class, die den Laden zusammenhalte. Doch worüber spreche der Papst? Über Immigranten, Arme und Benachteiligte. Wieso nie über ganz normale Katholiken? Ihre Funktion und ihr Beitrag im Sozialgefüge wird aus ihrer Sicht nicht gesehen und nicht gewürdigt. Die Konsequenz, ebenso kurzsichtig wie verquer: „Weil wir für diesen Papst nicht zählen, steht meine Brieftasche offen für die Antiabtreibungsleute und die anderen, die wollen, dass dieser Papst verschwindet.“ Was für ein Selbstbetrug aus diesen erbärmlichen Einsichten spricht. Christentum hat nichts mit Kapitalismus zu schaffen, sondern mit Barmherzigkeit, die selbstverständlich zu gewähren ist, ohne sie an die große Glocke zu hängen.

Die Kunst der Intrige ist komplex

Im Rahmen der Amazonas-Synode wurden von einem Priester aus dem rechtskatholischen Spektrum Pachamama-Figuren der Indigenen aus einer Kirche, die dort zu kultischen Zwecken aufgestellt waren, gestohlen und in einer kriminellen Aktion vor laufender Kamera in den Tiber wie Müll entsorgt. Ein Zeichen gegen Götzendienst (Idolatrie), das der Papst gerade zulasse. Wäre dem so, dann würde er ex nunc nach dem Kirchenrecht der Häresie verfallen und exkommuniziert sein. Doch es ging nicht um juristische Korrektheit, es ging um den emotional geputschten Empörungswert in der Öffentlichkeit bei den „Rechtgläubigen“. Im Mai 2020 der nächste Versuch: Erzbischof Carlo Maria Viganò, Nuntius in Washington, spricht im Aufruf „Veritas liberabit vos“ („Die Wahrheit wird euch befreien“) im Zusammenhang mit den Corona-Vorkehrungen von einem „Vorspiel zur Schaffung einer Weltregierung (…) mit undurchsichtigen Absichten übernationaler Organisationen“ (…) der „Gefahr subtiler Formen der Diktatur“.

Ließe sich denken, diese so unterschiedlichen Fraktionen, die oft in sich selbst nicht homogen sind, könnten einander in einem „Netzwerk“ zuarbeiten und damit den Papst stürzen? Englisch bleibt dazu im Ungefähren, obgleich Titel wie Struktur des Buches ja gerade darauf hinauslaufen. Es bleibt dem (zumeist unerfahrenen) Leser überlassen, Schlüsse zu ziehen. Es gibt allerdings Hinweise, die der Autor selbst streut: Blogs, die als „Kriegsmittel“ genutzt werden, nationalistische Sprache, die diskreditiert, Nachrichtenportale, die Fake-News verbreiten, Schattenpriester und Schattenarmeen, die Irritation, Verwirrung und gesteuerte Empörung schüren sollen. Geld ist dafür reichlich vorhanden und es wird gegeben. Bis hin zur Manipulation der Vergabe eines Titularbischofsamts, um Personen in strategischen Positionen zu etablieren, die dann im Schatten an der Ablösung von Franziskus arbeiten. Warum? Weil dieser „Sozialrevolutionär“ das werthaltige Bild der Kirche zerstört und zugleich Priester aus ihrem wohlbestallten Leben an die Front und oder die Diaspora befördert. Doch wer will da schon hin? Zugleich ist ebenso festzustellen: Das Gehalt im Vatikan ist kaum als solches zu bezeichnen. Nur die Umgebung hat so ihre Vorzüge, weshalb eben auch kleine Priester zum Zünglein an der Wage oder zum Brutus im Rücken werden können. Mann könnte etwa den Brief einflussreicher „Dubia“ Kardinäle gegen „Amoris Laetitia“ als Auftakt einer Black-List-Action“ gegen den Papst auffassen: Die Truppen sammeln, Munition bunkern und einen Plan ausarbeiten, wann und wo man zuschlägt. Gewiss ist: Keiner kann das vorhersagen, ebenso gewiss ist auch, diese Lobbys gibt es, sie sind mächtig und sie haben das Interesse am Sturz.

Fazit: Jenseits des flüssigen Unterhaltungsstils bleibt der Leser etwas ratlos zurück, weil die investigative Recherche, die der Titel nahelegt, ebenso die „Plot-Architektur“ des Buches unterstreicht, nicht eingelöst wird. Durchaus spannend zu lesen, mit einigen Längen bestückt, wird der interessierte „Vatikanista“ durch eine Welt von Untiefen und Nebel geführt, die letztlich leider die erhoffte Klarheit vermissen lässt.

Ingo-Maria Langen, November 2020