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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Der heilige Geist

Jörg Lauster
Der heilige Geist
Eine Biographie

13 Tafeln

C.H.Beck, München 2021
431 Seiten, 29,95.- €

 

Jörg Lauster, Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Gastprofessuren in Chile, Vendig und Rom, zuletzt bei C.H.Beck erschienen: Die Verzauberung der Welt. Eine Kurzgeschichte des Christentums (5. A. 2017).

Feature

„Das menschliche Dasein zeichnet aus, dass es sich in einer Welt ereignet, die nicht stumm ist.“ Erste Sätze sind zumeist eine komplexe Herausforderung, sollen sie doch neben einem Hinweis auf das Thema insbesondere Bindung zum Leser aufbauen. Dieser erste Satz erfüllt den Anspruch, denn er bringt beides zusammen und schafft eine Vorausweisung auf das Kommende: die Vermessung eines „abstrakten“ Phänomens. Biografien lesen wir gewöhnlich zu Personen als deren Lebensbeschreibung, ihre intrapersonelle Entwicklung und den gesellschaftlichen Kontext, in den sie eingebettet sind. Wie lässt sich also von Biografie im Zusammenhang mit dem (nicht unumstrittenen) „heiligen Geist“ sprechen? Lauster wählt dafür einen Zugang, der ihn – wie uns – mitten ins Leben führt. So steht nicht die theoretische Abhandlung eines abstrakten Phänomens an, sondern dessen Erscheinung in lebenspraktischen Bezügen.

Geist ist Haltung

Die philosophisch-theologische Grundannahme des „Heiligen Geistes“ als Strukturprinzip der Schöpfung bezeugt die Bibel mit dem Begriff „ruach“. Der historische Doppelbezug (griechisch / jüdisch) weist bereits auf seine Vieldeutigkeit hin: es ist der Atem, das Aushauchen des Windes, später mit „pneuma“ wiedergegeben, Lebenskraft lässt sich dazu auch sagen. Dieser Atem Gottes wirkt tief in das Leben der Menschen hinein, Leben ohne diese Kraft kaum möglich. Die damit verbundene seelisch-emotionale Erfahrung konkretisiert sich in der    Ausgießung des Geistes über alles Fleisch. Die eschatologischen Gaben von Weisheit und Einsicht, Rat und Stärke, Erkenntnis und Gottesfurcht füllen die Menschen guten Willens an. Der Geist ergreift die Menschen und verwandelt sie: es wächst eine innere Haltung. Die Geisterfahrung der Mystik im Mittelalter nimmt darauf ebenso Bezug wie später die Renaissance mit ihrem besonders betonten Freiheitsgedanken. Gerichtet sind diese Erfahrungen auf ein Werden der Welt, die in den Menschen eingegebene Hoffnung von Gottes Wirken in der Geschichte und unser Aufgehobensein in jener Zeit hernach. Insoweit ist die Stimme Gottes, die wir in uns klingen hören können, sein Geist, der alles durchwaltet, das Universum nach seinem Strukturprinzip formt. Lauster: „Die Welt ist nicht genug. Der heilige Geist ist die Antwort auf die Frage, woher diese Erfahrungen kommen und wohin sie uns führen.“

Erzählung vom Sinn

Das Schweben von Gottes Atem durchwirkt das Leben. Es ist zugleich Vorzeitigkeit als auch Nachzeitigkeit in seiner auf uns einwirkenden Bedingtheit. Um dies zu erklären, die Komplexität in der Reduktion erträglicher zu machen, gilt es die Angst auszuschalten. Diesen Zweck erfüllt ein Narrativ, das Einsicht, Trost und Zuversicht spendet. Lauster zitiert Hermann Gunkel mit seinem noch heute lesenswerten Aufsatz: „Die Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der des Apostels Paulus“ (1888), der die kontextualisierten Erfahrungsbedingungen jener Zeit zu erfassen versucht, um emotionale Berührung, die Stimmungslage der Menschen aus dieser Zeit zu erspüren. Systemisch gesprochen ist dies der Versuch einer künstlichen Aufstellung auf dem Hintergrund biblischer, künstlerischer oder sonstiger Zeugnisse, sofern diese eigenen Echtheitswert bezeugen können.

Beziehungsgeschehen

Ein Stimmungsgeschehen in alter Zeit, geprägt von Freude, Hoffnung oder Angst in bewegter Geschichte ist immer auch Beziehungsgeschehen. So setzt sich neben die Linie des Ausgießens diejenige der (aktiven) Beziehung zu Gott in den diversen Lebensvollzügen. Und es ist immer der Charakter des Empfangens für den Menschen (so Ratzinger), der die besondere Stellung als Gotteskind beschreibt: Ich muss mich leermachen, mich geistig arm machen, um die Ausgießung empfangen zu können, mein leeres Gefäß mit Gottes Geist erfüllen, um jene Haltung zu entwickeln, die es mir ermöglicht, seinen Geist in mir wirksam werden zu lassen und dies schließlich auch nach außen für die Gemeinschaft fruchtbar zu machen. Denn dieses Gottesgeschehen, diese Beziehungsbegegnung ist das Initial, der Funke auch für die Gemeinschaft.

Dieser Weg der Erkenntnis kommt einer radikalen Selbstaufklärung des Menschen gleich. Je unmittelbarer die Anbindung an göttliches Geschehen, desto fundamentaler muss ich mich selbst infrage stellen, um mich mit und in der Bindung an Gott verwandeln zu können. Das Wirken des heiligen Geistes ist Prozessgeschehen. Nichts einmaliges, gar abgeschlossenes, sondern etwas dynamisches, das mich jederzeit treffen kann – oder auch nicht. Herausfordern kann ich es nicht. Auch die beste Vorbereitung ist keine Eintrittskarte, das würde dem Charakter des Empfangens widersprechen.

Trinität

Als Empfangende stehen wir im vollzogenen wie unvollzogenen Bezug zum Sozialen wie zum Leben. In beiden Fällen benötigt die Ausgießung unser aktives Miteinander, schließlich soll nicht nur das Individuum sondern auch die Gemeinschaft vor Gott ihren Fortbestand haben. Alexandre Ganoczy operiert dazu mit dem Paradigma „Synergie“, das Schnittstellen zu den Naturwissenschaften bis hin zur Chaostheorie eröffnet. Als planetare Schicksalsgemeinschaft können wir es uns nicht leisten (cf. die Pandemie 2019ff.), Isolationismus zu betreiben. Wir leben in einer Welt von Wechselwirkungen (Rückkopplungen), deren energetische Abläufe sich syn-ergetisch zeigen. Analoges lässt sich auch hinsichtlich der Kooperation Gottes mit seinem Sohn und dem heiligen Geist aussagen: Gott als agápe ist hermeneutischer Schlüssel für die Einheit in Vielheit, ihre interpersonale communio im trialogischen göttlichen Wechselspiel. So können wir mit der paulinischen Lehre aus der Haltlosigkeit der Welt heraustreten und den heiligen Geist als Form- und Funktionsgeber annehmen, der sich in uns materialisiert, unsere anthropologische Existenz nicht aufhebt, uns gleichwohl aber zu einem anderen werden lässt, formuliert Lauster.

In der Eucharistie zelebrieren wir die lebendigste Form des Gottesdienstes in der Gemeinschaft der Gemeinde. Wir feiern den „Tempel des heiligen Geistes“ (1. Kor 6, 19) und im eucharistischen Hochgebet steht die Gemeinde im Hier und Jetzt im Lobpreis vor dem dreifaltigen Gott, um ihn zu preisen. Ritus und Verwandlung in vollkommener Ausdrucksform.

Was bleibt über den Tag hinaus? Lauster verweist auf das unabweisliche Ende aller Tage, wenn unser Planet den kosmischen Bedingungen nach untergehen wird. Und doch bleibt nichts ohne Hoffnung: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb 21, 5) Der Trost des Christentums liegt im Aufgehobensein (dies- wie jenseitig), in der Verheißung und der Gnade der Ausgießung des heiligen Geistes. Es wird ein neues Rauschen geben.

Fazit: Das Buch führt den Leser in die Mitte des Glaubensgeschehens. Wie erklären wir uns den heiligen Geist? Wie können wir an seinen Gaben teilhaben? Welchen Weg müssen wir gehen, um das Wirkungs- und Beziehungsgeschehen zu Gott zu erfahren? Der Autor durchmisst ein weites philosophisch-theologisches Feld, zeigt die verschiedenen Anknüpfungspunkte im Denken über die Zeit auf und kommt doch zu der nicht ganz überraschenden, dafür umso mehr aufmunternden Erkenntnis: der Weg ist das Ziel. Wir müssen uns dem jeden Tag neu stellen, denn es gibt keine Eintrittskarte, wir müssen Glaubens- und Gottesarbeit täglich leisten, denn auch der heilige Geist fällt nicht vom Himmel, wir sollten vorbereitet sein, um dann seinen Glanz zu empfinden, uns in ihm zu verwandeln.

 Ingo-Maria Langen, April 2021