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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Das Haus aus Stein

Asli Erdoğan              

Das Haus aus Stein
Roman

Penguin Verlag
1. Auflage, München 2019,
Übersetzung: Gerhard Meier
118 Seiten, 15.- €

Statt einer Zusammenfassung:

„Als habe das Leben plötzlich eingefordert, erzählt, definiert und gezeigt zu werden, habe ich über die Vergangenheit blutleere Metaphern ausgeschüttet, zum Zerreißen angespannte Verben, ihre wahre Form erst noch suchende Bilder.“ Asli Erdoğan müht sich, ein Leben in Scherben zu kitten: von Gefolterten, Gefangenen – ihr selbst.

 

Asli Erdoğan zählt zu den bekannten Schriftstellerpersönlichkeiten in der Türkei. Ihre Stimme lieh sie stets den Unterdrückten, den Entrechteten, den Namenlosen. Als ihr Roman 2009 erschien, wurde er zum Bestseller. Erdoğan schreibt über die Verhältnisse in türkischen Gefängnissen, die Kurdenfrage, Gewalt gegen Frauen, den Genozid an den Armeniern. Im Sommer 2016 wird sie aufgrund ihres Engagements für eine kurdische Zeitung verhaftet, muss für 132 Tage ins Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy. Der Prozess läuft noch, wie vielen Kollegen droht auch ihr eine lebenslange Haftstrafe. Im Herbst 2017 konnte sie über Paris nach Osnabrück ausreisen und den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis entgegennehmen. Sie lebt im Exil in Frankfurt. – Als Physikerin arbeitet sie bereits mit vierundzwanzig am CERN in Genf, eine Station in Brasilien an der Päpstlichen Universität von Rio schließt sich an. Zugleich veröffentlicht sie diverse Romane und Erzählungen bis ihr schließlich 1998 mit „Die Stadt mit der roten Pelerine“ der Durchbruch gelingt.

 

Erinnerungsblockade – Erinnerungsbewegung

Für die Erstausgabe auf Deutsch hat Asli Erdoğan einen Text vorangestellt, der zum einen ihre Lebensumstände reflektiert und zum anderen eine Hinführung zum ‚Haus aus Stein‘ einschließt. Können Erinnerungsorte unterschiedlicher Kulturen zu denselben traumatischen Gefühlen führen, obgleich ihnen ganz andere Bedingungen zugrunde liegen? Um es mit den Worten Jorge Sempruns aus ‚Die große Reise‘ zu sagen: „Ihr habt aber noch nichts gesehen. Ihr habt nämlich die Rampe noch nicht gesehen. Die Reise der jüdischen Kinder habe ich noch nicht erzählt.“ Erdoğan nutzt die Metapher Sempruns für ihre eigene Anknüpfung beim Besuch von Auschwitz. Ihr inneres Erleben dieses Unerlebten und doch Geschehenen ruft eine ‚gefühlte Erinnerung‘ hervor, die das Grauen von ehedem ahnen lässt. Es ist diese „Stirnschrift“, das türkische Wort für Schicksal, das uns über unser Menschsein alle verbindet, mögen im Einzelfall die Bedingungen auch sehr unterschiedlich sein. Doch Gewalterfahrungen sind anthropologische Konstanten und transkulturell. Die Autorin gestattet sich selbst lange nicht, von ihrer eigenen Gewalterfahrung zu berichten, schließt diese in ihr Trauma ein und versucht sich im Leben zu halten: „Wunden sprechen nur selten, aber sie können auch nicht lügen.“ Ganz so versteht sich auch der Text: Er ist nicht abgeschlossen, bleibt Fragment, wird im Schreibprozess immer wieder neu bearbeitet. Seine Unvollständigkeit nähert sich immer mehr dem Kern: „Des Menschen Herz ist ein Spiegel.“ In dem man was sieht?

Das Haus aus Stein

Welches Narrativ entfaltet Asli Erdoğan, um sich einen Zugang zum dunklen Spiegel eines kalten Menschenherzens zu schaffen? Das unsagbare Leid, die Qualen, die Wunden, das Blut – von alledem erzählt sie nur sehr sparsam. Es ist nicht die laute Klage, es sind die leisen Töne, die über einen enormen Metaphern-Sturm in den Text getragen werden. Das Auge müht sich ab, diesen Kaskaden zu folgen, doch sie erzeugen eine Sogwirkung, der sich kein Leser entziehen kann: „Wer mit dem Schatten redet, spricht mit der Wahrheit.“ So im Haus aus Stein: „Das Leben gehört denen, die es einem entreißen können.“ Erdoğan imaginiert ein Café und eine Bar in der Straße vor dem Gefängnis. Sie setzt einen Kontrapunkt zu den Erlebnissen in diesem Haus: „Mögen die Gäste auch vieles erlebt haben, Niederlagen, Demütigungen, so glauben sie doch, dass der Mensch im Grunde gut ist, und können sich nicht erklären, warum auf der Welt so viel Schlechtigkeit herrscht. Jeder hat von dem, was ihm als die Welt gilt, sein Gutteil Not, Einsamkeit und Enttäuschungen abbekommen, hat die Fäuste geballt, geflucht, sich gefügt, gestohlen, sich abgemüht und sich vor allen Dingen immer wieder begnügt. Was blieb ihm auch übrig? Doch manchmal ist selbst die Hölle nicht schlecht, und es findet sich darin ein Plätzchen, eine Tasse Tee, eine helfende Hand, ein Lächeln, eine vertraute Melodie.“ Das ist unsere innere Dualität des Seins, die Hölle und der Himmel in mir: „Jedes Menschenleben ist schließlich eine Niederlage, nur fällt sie bei manchen grandioser aus als bei anderen.“

Neben ihrem eigenen Schicksal blickt sie auf jenes von „A“. Seine Verluste, sein Dahinwehen, sein Verwelken, das sie gerne beenden oder doch mindestens aufhalten möchte, was ihr nicht gelingt. Selbst der Obdachlose, der von der Gesellschaft bereits Vergessene, er gelangt noch in die Fänge der Repressionsmaschine, die ihn prügelt, verletzt, in die Gosse zurückwirft, wo er sich wieder einrichtet, in seinem Leben zwischen Sternen und dem todgeweihtem Dasein: „Die Haut des Lebens schien von oben bis unten aufgerissen, sodass Muskeln, Organe, Knochen zu sehen waren. Passanten wichen ihm aus, und der Kreis der Einsamkeit um ihn herum wurde immer dichter, bis er selbst darin kaum mehr zu erkennen war.“ Letztes Aufbäumen beseelt ihn: „DU HAST DEINE AUGEN BEI MIR VERGESSEN!“ Fast reißt er sich dabei sein Herz aus der Brust. Doch er findet nur Gehör bei „pupillenlosen Schaufensterpuppen“, denen er seine Geschichte erzählt.

Was bleibt? Es ist die Betroffenheit, die Ohnmacht, angesichts der Sprachgewalt des Textes und seiner blutigen Entstellung des Menschlichen, der Unmöglichkeit des Entkommens, des eigenen Versagens angesichts der Trostlosigkeit einer Wüste an Empathie, Mitgefühl und Mit-Leiden in uns selbst.

Fazit: Wer verstehen möchte, was autokratische, nicht rechtsstaatliche Regime über Folter in ihren diversen Spielformen mit der Zerstörung von Kultur und Menschsein anrichten, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.

Ingo-Maria Langen
Mai 2019