Teresa Präauer
Das Glück ist eine Bohne und andere Geschichten
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
308 Seiten, 24.- €
Teresa Präauer studierte Germanisktik (Salzburg / Berlin) und bildende Kunst (Mozarteum Salzburg) sowie in Wien an der Akademie der bildenden Künste. Sie übernahm diverse Gastprofessuren in Berlin und in Iowa / USA. 2015 war sie für den Ingeborg-Bachmann-Preis vorgeschlagen. Nominiert wurde sie außerdem für den Preis der Leipziger Buchmesse. Ausgezeichnet wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis des ZDF und mit dem Friedrich-Hölderin-Preis der Stadt Bad Homburg. Bei Wallstein erschienen: Für den Herrscher aus Übersee, Johnny und Jean, Oh Schimmi und der Großessay Tier werden.
Feature
Das Leben ist Literatur. So prosaisch (im besten Sinn) könnte der Band „Das Glück ist eine Bohne“ im Metatext überschrieben sein. Präauer nimmt sich der kleinen Form im doppelten Sinn an: Die textliche Grundierung als Marginalie entspringt ihrer Verortung erzählter Wirklichkeit. Figurenpräsenz und Handlungsnähe verbinden sich mit genretypischer Prosasprache.
Prosasupplemente
Die Anknüpfungspunkte in der Lebenswirklichkeit sind breit: Kunst, Musik, Mode, Nagelstudios, internationale Community, Film, Literatur. Wichtige Bausteine in unserem Leben können ebenso wie die scheinbaren Nebensächlichkeiten zu Auslösern werden. „Das Glück ist eine Bohne“ zeigt auf beschwingte Art wie Alltagsbegebenheiten dem Leben etwas Besonderes abgewinnen lassen – auch und gerade in Zeiten einer Pandemie. Schon ein einfacher Spaziergang kann dazu führen meine Glücksbohne zu finden. Eine derart flüchtige Begegnung ist die Herderkirche in Weimar („Immer wieder Cranach“): Sie, die Stadtkirche St. Peter und Paul, UNESCO-Welterbe, erinnert den Betrachter an das Unvermutete, das Ungeplante als Teil des Glücks. Mit luzider Sprachbewährung zieht die Autorin den Leser in das eigentliche Geschehen: das Gemälde Carnachs „Christus am Kreuz“. Es folgt eine furiose Bildbetrachtung, die abschnittsweise an jene „thick description“ Cliffort Geertz‘ oder eine systemische Interpretation erinnert, die uns ein tiefes Eintauchen in die Geheimnisse der Entstehung erspüren lassen. Zuvor furioser Sprachwitz: „Die Cranachs sind nämlich die lustigsten Maler, die die Geschichte des europäischen Tafelbildes je hervorgebracht hat. Oft sind die Herzöge in ihren Bildern ziemlich stiernackig, ziemlich rundgesichtig, mit schmalen Lippen, roten Backen und mandelförmigen Augen. Die Herzoginnen wiederum sind oft sehr blass und ausgemergelt… Fast wäre man geneigt, halb im Scherz, halb aus Neugier, sich zu ihnen zu setzen, und ein wenig scheint es auch, als könnte das möglich sein…“ Cranach, seine Werkstatt, Martin Luther und Philipp Melanchton, ein Bildprogramm neuer Glaubenslehre: „…ein bärtiger Adam, bekleidet nur mit einem weißen Lendenschurz, die Hände wirklich hysterisch in die Höhe gerissen, der in großen Schritten vor Tod und Teufel davonläuft, ein von den Mächten des Bösen gehetzter Mensch… Huch, denkt sich wohl dieser bald laufende, bald tänzelnde Adam, jetzt wird es knapp für ihn…“ Zu Luther: Sein Zeigefinger auf die Bibel gerichtet soll uns bedeuten: „Lest, wenn ihr lesen könnt!“ Wieder tritt unverhofft das Glück ins Leben des Betrachters, bloß lesen muss er können.
Ähnlich furiosen Beschreibungen begegnet man in „Tulpenmanie“. Mit wenigen, durchaus kargen Strichen zeichnet Präauer nicht nur das Bild Blumenbouquet in einer Nische von Ambrosius Bosschaert in Sprache, sondern neben der Grundbedingung des Genres auch die Verwicklungen rund um den ersten europäischen Börsencrash (1637). Mit kraftvollen Wurzeln treibt die Autorin das Stillleben zu voller Blüte. – Und doch ist vieles, wenn nicht alles vergänglich. In „Die Sonne von Edvard Munch“ etwa erfahren wir über dessen tausendfünfhundert Briefe in deutscher Sprache, die ihm Mittel sein sollten, mehr über Deutschland zu erfahren. Bis seine Werke ab 1940 zu ‚entarteter Kunst‘ erklärt wurden und doch überleben konnten. Heute „trickreich“ im Fortbestand gesichert. Präauer verklammert über ein paar wenige Absätze hinweg die Welt des Malers mit Leben, Licht (Aufklärung), Gottessohn (Erkenntnis) – sie bleiben, doch wir müssen gehen. Und dies ist kein großer Schmerz.
Lebensspiegel
Was wir im Leben – wiederum rein zufällig – aus der Fülle unserer Sozialkontexte finden können erzählt Präauer in „Die Phantasmen der Vormieter“. Vom verschwundenen Galeristen und dessen spanischer Kunstzeitschrift, über die unmittelbare Vormieterin, deren Post zu Yogakursen oder orthopädische Schuheinlagen noch im Briefkasten landen oder den flüchtigen Bekannten, der vorgibt die Innenansicht der neuen Wohnung bereits zu kennen, hin zur baulichen Gestaltung Wiener Mietwohnungen. Wohnungen, die zum Großteil in der Sozialbindung stehen, ausgestattet mit Ikea-Regal, einmal Jagdwurst, einmal Bohnen. So wird die neue Wohnung zur Geschichte der persönlichen Emanzipation, begleitet von den Lebenswegen der Nachbarn.
The Way Things go
Vielschichtigkeit und Komplexität der Geschichten nehmen zu, abhängig von welchem Ausgangspunkt man zu lesen beginnt. Den Beginn des Buches läutet eine Begebenheit ein, die zunächst scheinbar sachorientiert eröffnet. In „Der Lauf der Dinge“ treffen drei Figuren in der Bar ‚The Way Things go‘ aufeinander, die anhand assoziativer Muster eine Entwicklungskette in Gang setzen, die den Beweis antritt: Scheitern kann Gewinnen heißen. In einer (noch) etwas ungewohnten Weise (zu studieren etwa bei von Kittlitz ‚Sonder‘) mischt Präauer hier die Erzählstimmen (und den Fokus). In der Kombination von auktorialem Erzähler, der Details einstreut, Verborgenes preisgibt und dem personalen Erzähler (der Figurenstimme), entsteht ein komplexes Basisgeflecht, das den Leser elegant bei der Hand nimmt, um das ebenso komplexe Handlungsgeschehen vergnüglich zu durchlaufen. Das Setting: Frau trifft auf Mann, ein Flirt entwickelt sich, der Barkeeper als Reflexionsfigur. Geschickt schneidet Präauer einen Versatz zwischen dem Film gleichen Namens von Fischli / Weiss, der als Stilikone der Achtziger bei documenta 8 Furore machte, und dem Entwicklungsgeschehen zwischen den Figuren. Ein gedanklicher corso al galoppo wer an welcher Stelle scheitern könnte. Ein wenig meint sich der Leser an äsopische Emblematik zu erinnern, etwa in dem Sinne: Klugheit zählt, nicht äußere Schönheit. Auf diese Weise entsteht ein unterhaltsames Spiel aus Fuchs und Igel (frei nach W. Busch) wer zuerst scheitert. Alchemistisches Denken wird konterkariert über Hiob 38. Eine biblische Geschichte des Scheiterns, die in einem (nochmals) gelingenden Leben mündet. Scheitern Präauers Figuren am Ende an sich selbst?
Fazit: Geschichten aus dem Leben, humorvoll, tiefgründig, süffig, wurzelfest, ein Panoramabogen des Zeitgenössischen. Sie bilden ein kaleidoskopisches Ganzes und sind doch je einzeln in sich geschlossen, verbinden sich nur punktuell miteinander. Vom Schluss her gelesen erschließt sich „Das Glück ist eine Bohne“ auf eine Weise mit jener mühelosen Leichtigkeit des Lebens, die wir uns so gern wünschen. Bis schließlich die Auftaktgeschichte „Der Lauf der Dinge“ den Leser in komplexe Beziehungsmuster hineinzieht. Eher unüblich, desto mehr wertzuschätzen: Vorsatz- und Nachsatzpapiere sind von der Autorin gestaltet, ein Personenregister erleichtert das lustvolle Quereinsteigen. – Es wird ein Lesevergnügen.
Ingo-Maria Langen, Mai 2021