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Via Conci
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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Dante, Homer und die Köchin

Wolf Wondratschek
Dante, Homer und die Köchin
Eine Komödie

Ullstein Verlag, Berlin 2021
235 Seiten

 

 

 

Das müde Meer, der Himmel so leer

Eine aristophanische Komposition: geistvoll, witzig, mit beißendem Spott. So legt Wondratschek das Zusammentreffen zwischen Dante, Homer und einer Köchin, durchaus als Reflexionsfigur gezeichnet, an. Zwei Titanen der weltgeschichtlichen Literaturhistorie treffen im Hier und Heute aufeinander – der verführerische Gedanke, ihre Sichtweise auf diese Welt auszubreiten, Wondratschek widersteht. Uns begegnen zwei sonderliche Alte, die sich gegenseitig nicht ganz ernst nehmen, einander frotzeln, und doch nachdenkliche Einsprengsel aus ihrem Dasein dem Leser entfalten. „Die Hände der Männer sind alt, nicht die Verse, die zu schreiben sie fähig waren. Man muss nicht schreiben, aber man muss es können, sagt Homer. Und Dante hört zu. Sie schreiben noch, Homer? Als die Helden fielen, fiel die Feder. Alles gesagt, alles geschrieben. Nun nehm ich mir die Zeit, wieder jung zu werden. Die schwierigste aller Künste! Ich beneide Sie, mir um Jahrhunderte voraus zu sein, was das Wissen um den Tod angeht. Wissen um das Sterben, Dante, nicht um den Tod. Das ist alles Betrug. Und wir, die Dichter, waren die Betrüger. Geben wir die Federn den Gänsen zurück. Träume, vor weiß Gott wie langer Zeit geträumt, und nie eine Antwort, keine bis heute.“ Larmoyanz, mit Geist gefüllt, mit Witz unterfüttert, in sprachlicher Eleganz verpackt. So lesen sich die Gedankenwelten der beiden gleich einem Brevier der (späten) Lebenskunst, pariert und flankiert durch die gute Fee des Hauses: „Homer: Nicht zu fassen das Weibsstück. Dante: Und wie gewissenhaft sie bei der Sache war, beeindruckend. Man müsste ihr nur mal bei Gelegenheit eine neue Gartenschere besorgen.“ Doch damit nicht genug: „Homer: Sie kann den Mund halten, das hat sie uns voraus. Dante: und noch etwas, das sie uns voraushat: Sie denkt nicht. Homer: Respekt! Dante: Sie will nicht einmal den Anschein erwecken, es zu wollen. Homer: Es geht viel verloren. Es geht die Wirkung, lebendig zu sein verloren. Dante: Ich möchte das auch. Ich möchte emigrieren. Aus dem Kopf hinausgehen. Abhauen, eine meiner Hände öffnen und dort leben.“ Höllenkreise des Daseins. Wäre da nicht die Welt der Kinder: Sie leben in ihren Wünschen in ihren Hosentaschen, Bleistifte, die ihre Köpfe schütteln. Eskapistische Phantasmagorien. Was würde die Köchin dazu beitragen? Nichts! Käme Gott höchstselbst als Gast zu ihrer Tafel, sie würde nicht die Martha geben, noch Maria, sie wäre nur sie selbst: „Wenn du alles weißt, wird sie ihm sagen, zwing mich nicht, alles zu wiederholen“, räsoniert Dante. Höllenkreis gebrochen.

Jenseits bildungsbürgerlicher Assoziationen plagen sich die bald entdeckten Dichter zwischen Belästigung und Selbstvergewisserung in Satire oder Suada durch Musik, Malerei und Literatur hindurch, notiert Joyce Witwe, ruft Shakespeare durch, lässt Giotto einen Blick über die Schulter zu. Es sind die großen Linien der europäischen Kultur, aufgehoben im täglichen Einerlei, das auch an den Titanen nicht vorübergeht.

Ingo-Maria Langen, Juni 2023