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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Being in Organizations

Anna Jantscher
Nicole Lauchart-Schmidl
Being in Organizations
Die Beziehung zwischen Mensch und Organisation lebendig gestalten

Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2021
220 Seiten, geb., 39,95.- €

Anna Jantscher, Partnerin der Beratergruppe Neuwaldegg, Betriebswirtin, langjährige Erfahrung im Personalmanagement. Besonderer Fokus auf der Transformation von Organisationen, Teams und Individuen in Bezug auf Selbstorganisation. Purpose und Agilität sind für sie dabei verlässliche Treiber.

Nicole Lauchart-Schmidl, Beraterin der Beratergruppe Neuwaldegg. Change-Management von Personen wie Organisationen in Verbindung mit nachhaltigem Unternehmenserfolg bilden ihren Fokus. Ihr Background in psychosozialer Beratung von Menschen mit multiplen Traumatisierungen ermöglicht ihr einen speziellen Zugang zu Veränderungsprozessen.

Spotlight

Das Prinzip „Ganzheit“ eine lebenslange Suche

Die Autorinnen setzen sich zum Ziel, die kommunikative Korrespondenz von Person und Organisation in ein neues Bild zu fassen: Über den referenziellen Rahmen der Resonanztheorie Hartmut Rosas soll die Autopoiesis von Organisationen als sozialer Systeme (Luhmann) ein praktisches Werkzeug zur Erzeugung von Emergenz bereitstellen.

Als ganze Wesen (im christlichen Sinn) vervollständigen wir uns durch die Verbindung zu einer Familie als Nukleus von Gesellschaft. Daraus erwächst der Baum mit seinen vielen Ästen. In der Übertragung auf die Arbeitswelt stellen Organisationen (Unternehmen) die abstrakt-formalen Bedingungen (techn.: Framing), die wirtschaftliches Arbeiten in komplexen Strukturen und einer arbeitsteiligen (globalisierten) Wirtschaft ermöglichen. Mit steigendem Komplexitätsgrad (Lieferkette) steigt auch die Störanfälligkeit des Systems. Wie kann ein Unternehmen wachsen (komplexer werden) und zugleich so viel an Entropie generieren, dass der Informationsgehalt Unsicherheit auf ein Minimum begrenzt? Die Autorinnen stellen sich dem mittels der Resonanzfeldtheorie von Hartmut Rosa.

New Work – worum es geht

Zur Beschreibung von „Organisation“ knüpfen die Autorinnen an das Konzept von Frederic Laloux („Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“, München 2014) an. Laloux, Expomnent der New-Work-Bewegung, verschreibt sich der Maxime der Ganzheitlichkeit des Menschen in Organisationen als duales Prinzip der Selbstorganisation von Systemen. Viele Organisationen sehen sich der Frage gegenüber: Warum entwickeln wir uns nicht so wie es nötig und auch möglich wäre? Laloux antwortet: Weil die Mitarbeiter oft eine professionelle Maske tragen. Sie trennen sich damit von ihrer Leistungsfähigkeit wie ihrer Energie und Leidenschaft ab. Der Umkehrschluss: Ohne Maske werden Beziehungen tiefer, reicher, die Lebendigkeit (und damit die Leistungsfähigkeit) der Organisation steigt. Müssen wir Organisationen also neu denken? Klassisch definiert die Soziologie sie als Werkzeug (Organon) arbeitsteiligen Wirtschaftens in der Form eines soziotechnischen Systems, um plan- und zielgerichtet menschliche Arbeit in Abgrenzung zur Natur zu beschreiben. New Work geht es dabei um die Intensivierung der Mensch-Organisations-Beziehung. Nicht in der Form der reinen Effizienzsteigerung, deren Grenzwertwachstum Laloux überschritten sieht. Vielmehr soll die Potenzialentfaltung des Menschen als Treiber von New Work in den Mittelpunkt rücken. Der „War for Talents“ der letzten zwei Dekaden hat deutlich gemacht, dass wir am Standort Deutschland nur dann international wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir die Kreativität der Köpfe im Land behalten. Wieviel Ganzheit ist dafür nötig?

Jantscher und Lauchart-Schmidl beschreiben detailliert die Funktionsweisen von Organisation und das Spannungsfeld zu menschlichem Potenzial. Wie kann dieses für beide Seiten fruchtbar werden? Wo sind Grenzverläufe? Wo Asymmetrien? Hier bieten die Autorinnen den Ansatz von Rosa auf: Mittels ihrer Schieberegler-Metapher, die ebenso simpel wie pragmatisch ist, zeigen sie, dass über lebendige Beziehungen für Mensch und Organisation ein Resonanzraum erzeugt werden kann, der Führung bedürfnisadäquat ausrichtet, Veränderungsprozesse (Vier-Raum-Modell) ressourcengerecht und mitarbeiterorientiert gestaltet sowie die Möglichkeit bietet, die Potenziale der Mitarbeiter, gemessen am Purpose der Organisation, zu heben und umzusetzen. Ganzheit entsteht in dem Moment, wenn über Teamresonanz auf der individuellen Ebene Kreativität, Invention oder Begeisterung ausgelöst werden, von denen sich die anderen Mitglieder (Führung) berühren und mit „anstecken“ lassen.

Rollenprinzip

Dazu wird das Rollenprinzip, wie wir es gut aus der systemischen Analyse und Aufstellungsarbeit kennen, vorgestellt. Aus der Rolle heraus, die wir alle in verschiedenen Kontexten im Arbeitsalltag einnehmen, können wir Selbstwirksamkeit, Empathie und Selbstbestimmung erfahren (und üben!). Eine persönliche Feedbackkultur prägen und so gemeinsam dafür sorgen, dass Wachstum in einem balancierten Miteinander (Organisation – Mensch) erlebbar wird. Schließlich kann nicht nur der Rechtsstaat, die Voraussetzungen, von denen er lebt, nicht selbst schaffen (Böckenförde-Diktum), auch Organisationen sind darauf angewiesen, einen Weg zur Ganzheit ihrer selbst und ihrer Mitarbeiter zu finden, eine Balance von Freiheitsgraden zu Prozess- und Kontrollvorgaben. Ein von empathischer Sicherheit geprägtes, experimentierfreudiges Umfeld mit ausgeprägter Fehlerkultur und der ständigen Aufforderung sich auszuprobieren, andere miteinzubeziehen, aber auch kritisch zu reflektieren und Anpassungen vorzunehmen, geht in die Richtung die Kreativität der Köpfe zu proaktiven Zukunftsakteuren zu entwickeln.

Dazu sind verschiedene Klärungsprozesse nötig: Welchen Purpose vertritt die Organisation? Welchen Purpose habe ich als Mitarbeiter? Was sind meine inneren Überzeugungssätze, wie bringe ich die mit der Ausrichtung des Unternehmens in Übereinstimmung? Wann kann ich mit meinen eigenen Werten arbeiten und zugleich das Team mitnehmen und voranbringen? Hierzu bieten die Autorinnen hilfreiche Praxisbeispiele sowie Checklisten und Tools auf, die sie abschnittweise einführen, etwa einen persönlichen Purpose Quest durchzuführen.

Fazit: Ein durchdachtes Fachbuch für den Praktiker. Es richtet sich insbesondere an Fach- und Führungskräfte im Mittelstand, zeigt aber auch für große Organisationen Handlungsmöglichkeiten auf, Verkrustungen und Konfliktpotenziale zu erkennen und zu lösen. Im Kern verlangt diese Herangehensweise allerdings ein tiefgreifendes Umdenken in der Mitarbeiterführung sowie der Selbstführung bis hin zur paradoxalen Führung. Die Kombination von Rollenprinzip und Resonanzerfahrung gibt Möglichkeiten an die Hand wie New Work praktisch umgesetzt und erfolgreich für Mitarbeiter und Organisation für neues Wachstum genutzt werden kann. Desideratum bliebe eine CD oder ein Link über die sich die einzelnen Praxisbeispiele sowie die Checklisten zentral nutzen ließen.

Ingo-Maria Langen, September 2021