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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Antisemitismus in der Sprache

Ronen Steinke
Antisemitismus in der Sprache
Warum es auf die Wortwahl ankommt

Dudenverlag, Berlin 2020
63 Seiten, 8,30.- €

 

Ronen Steinke, Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung”, Dr. jur., Stationen in Tokio sowie am Haager Tribunal für das ehemalige Jugolslawien, Buchautor („Fritz Bauer. Oder: Auschwitz vor Gericht”, verfilmt als „Der Staat gegen Fritz Bauer”).

Jakob Israel, der „Fersenhalter“ (Gen. 25,26). Ein findiger Mann.

Der Blick zurück in die Geschichte ist oftmals ein hilfreicher Erkenntnisgrund. Die Wurzeln, Traditionen und Entwicklungen eines Kulturvolks sind von Anpassungen, Notwendigkeiten oder Kontinuitäten geprägt. Das gilt für das israelische Volk zumal. Bereits Jakob wusste findig auf Herausforderungen zu reagieren (so etwa die „Jakobsleiter“). Bis heute ist jüdisches Leben zu Anpassungsleistungen gezwungen, die im Deutschland nach ‘45 sicher nicht einfach waren. Heute ist die arrivierte (kleine) jüdische Gemeinde in Deutschland ein integraler Bestandteil unseres Selbstverständnisses und kulturellen Austauschs. Es erstaunt deshalb umso mehr, dass sprachliche Nachlässigkeiten bis hin zu Diskriminierungen über weite Strecken unseren Alltag durchziehen. Davon handelt der Beitrag Ronen Steinkes.

Steinke beginnt mit einem Blick auf das Selbstbild vieler Juden: eine selbst erzeugte „Scheu“ vor der eigenen Wirklichkeit. So sprach etwa Heinz Galinski von „jüdischen Menschen“. Diese ungesunde Selbstbeschränkung zeitigt Folgen. Der Verweis auf die lange Diskriminierungsgeschichte hilft hier nicht weiter. Schließlich haben wir heute eine Partei in allen Parlamenten, die Judenhass zumindest unterschwellig bedient. Das ist das eine. Das andere: In unserer Sprache finden sich viele Anknüpfungspunkte ans Jiddische. Durch ihre Eindeutschung verlieren diese Begriffe ihre Kontur, werden oft nur als „Beiwerk“ wahrgenommen, ohne ihren kulturhistorischen Hintergrund zu würdigen. Die Würdigung muss damit beginnen, das Jiddisch kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache ist. Hervorgegangen aus dem Mittelhochdeutschen weist sie Anteile des Indogermanischen und slavischen auf. Sie ist entstanden mit der Ostsiedlung und der durch Verfolgung bedingten Migration.

Bekannt sind bei uns jedoch kaum mehr als Bruchstücke: Etzes (für – überflüssige – Tipps, die Chalosches bekommen (in Ohnmacht fallen), Aschkenas (mittelalterliches Deutschland), Gut Schabbes zum Samstagvormittag in der Synagoge, Masl tov (viel Glück) oder auch Tacheles und Schlamassel.  Eindrücklich: schmusen (sich unterhalten) in smozze (schwätzen – nur im Deutschen „liebkosen“). Vieles lässt sich hier lernen, vor allem wie dem Jiddischen mit mehr Achtsamkeit im Alltag begegnet werden kann. Denn auch eine sprachlich korrekte Verwendung jiddischer Begriffe kann sich je nach Sozialkontext ins Negative wandeln. Steinke zeigt das am Wort „Ische“ auf. Zunächst heißt dies nur einfach „Frau“, treffen wir seine Verwendung jedoch häufig mit pejorativer Konnotation, was zumal in Gender-Zeiten, ganz übel aufstößt. Ebenso ist die Auffassung verbreitet, beim Jiddischen handle es sich um einen „Gaunersprache“ – was nicht ganz falsch ist, aber am Kern vorbeigeht. Die jahrhundertelange Diskriminierung mit Berufsverboten zwang jüdische Menschen in niedere Berufe wie Hausierer oder Viehhändler. Derartige Stigmatisierungen prägten den Blick der Mehrheitsgesellschaft auf die jüdischen Mitmenschen. So trifft man den Begriff der „Mischpoke“ (eigentlich: mischpoche) oft verzerrt im Deutschen, wenn von dubiosen oder kriminellen Verbindungen gesprochen wird. Mischpoche als „verschworene Gruppe, die etwas im Schilde führt.“ Dabei ist lexikalische Bedeutung einfach Familie, Punkt.

Was macht das mit einem Juden? Steinke zitiert den Ostberliner Schriftsteller Max Czollek: „Was ich gewöhnt bin, ist, als jüdischer Autor angesprochen zu werden. Oder, wie ich es lieber nenne: als Judenautor.“ Diese demonstrative Wortkombination ist aus berufenem Mund als provokantes Stilmittel zu verstehen, als „Polemik, die gekünstelte, unehrliche Rituale im Umgang der nicht jüdischen Mehrheit mit Jüdinnen und Juden kritisiert“ (Steinke). Eine rhetorische Figur eines jüdischen Autors, der „den Finger in die Wunde legen will.“

Fazit: Dieses Buch rüttelt am Selbstverständnis jener Deutschen, die Jiddismen mit einer Selbstverständlichkeit in zweifelhaften Kontext nutzen. Für alle anderen ist es ein Aufruf sorgsam mit Sprache umzugehen und den jüdischen Nachbarn oder Freund zu fragen. Im Zweifel schafft das Interesse Nähe, die jenseits des Soziolekts zu mehr menschlicher Nähe führt, wo der Hinweis auf das Jüdische kaum mehr vorkommt. Kurz: ein nachdenkliches Buch, das uns zu einem gesünderen Miteinander führen könnte.

 Ingo-Maria Langen, April 2021