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Via Conci
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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Vieles ist ungeheuer, nichts ungeheurer als der Mensch! – Die Todesstrafe und die katholische Kirche.

Πολλὰ τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀνθρώπου δεινότερον πέλει (Sophokles: Antigone – Rede des Chors)

Man könnte meinen, dieser Satz entstammt unserer Zeit. Nein, er ist uns überliefert aus der Antike. Daran bemisst sich seine Überzeitlichkeit. Im Grunde ist das erschreckend, finden Sie nicht? Man könnte auch einwenden: aber wieso? Da wissen wir doch, womit wir es zu tun haben! Ja, genau – mit uns.

Wussten Sie das: im ‚Katechismus der katholischen Kirche‘, der die Glaubenslehre in verbindlicher Form postuliert, findet sich unter der Nummer 2266 die Formulierung, dass im Rahmen der überlieferten Lehre der katholischen Kirche, nicht nur angemessene Strafen verhängt werden können, um das Gemeinwesen zu schützen, sondern dass „in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe“ nicht auszuschließen sei. – Sie wundern sich? Gut so. Wie war das noch gleich mit der Menschenrechtscharta der UNO? Den weltweiten Bewegungen zur Abschaffung der Todesstrafe? Den Rechtsfortentwicklungen in demokratischen Rechtsstaaten, die (bis auf ganz wenige, eng umgrenzte Ausnahmen) das Prinzip der Resozialisierung als reintegratives gesellschaftspolitisches Moment hochhalten und verteidigen? Da gibt es so etwas noch in offiziellen Anleitungen der Kirche?

Papst Franziskus hat das nun aufgegriffen und klargestellt: die Todesstrafe steht im Widerspruch zum Evangelium! Denn am Maßstab der Menschenwürde gemessen, verletzt diese Strafe die Unverletzlichkeit und Würde des Menschen – auch als Täter. In diesem Sinne muss immer die Möglichkeit bestehen, sich moralisch und existenziell loskaufen zu können, so Franziskus. Denn letztlich gilt: nur Gott hat das Recht und die Macht über das Leben des Einzelnen zu richten! Bleibt die Kirche in dieser Frage (mindestens) neutral (indifferent), dann macht sie sich auch heute noch weiter schuldig – weit über ihre historische Schuld hinaus. Das ist ein klares Bekenntnis von Franziskus, bleibt zu hoffen, es findet sowohl Niederschlag im „KKK“ als auch in der Einmischung in die tägliche Politik rund um den Globus. Warum? Ein Beispiel: vor 68 Jahren wurde mit der Verkündigung des Grundgesetzes auch die Todesstrafe in Art. 102 als abgeschafft festgestellt. 2014 führte das Meinungsforschungsinstitut Allensbach eine Befragung zur Todesstrafe durch: 25 Prozent der Deutschen stimmten damals einer Wiedereinführung zu. 2014? Richtig, das war noch weit weg von den Anschlägen in Europa und bei uns. Wie das wohl heute aussähe?

Renate Kühnast, damals Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, sagte dazu: „Wer ein ,Auge um Auge‘-Modell befürwortet und Mörder mit dem Tode bestrafen will, der vergisst zweierlei: Erstens hat der Staat die Aufgabe, das Leben der Menschen zu schützen. Und sie nicht zu töten. Und zweitens ist der Staat nicht ein gottgleicher Richter, der unfehlbar über Gut und Böse entscheiden darf.“ Siehe oben. Wir erleben allerdings – trotz der brummenden Wirtschaft – eine der unsichersten Zeiten in Deutschland und Europa, ja weltweit, wie sie vielleicht noch aus den Jahren des Linksterrors (RAF / Rote Brigaden usw.) in Erinnerung sind. Insoweit lässt sich durchaus von einer Krisenzeit sprechen, die Unsicherheiten sind groß. Da neigen die Menschen schnell dazu, sich Law-and-Order-Denken anzuschließen, denn lieber sicher und behütet als frei und tot. Der Ruf nach dem starken Staat, der alle beschützt ist nicht weit. Doch das ist weder ein staatspolitisches, geschweige denn gesellschaftspolitisches Moment, das einer pluralistischen Gesellschaft angemessen ist. Denn damit werden wir hermetisch: nicht mehr bereit und fähig zu lernen. Als Einzelner wie als Kollektiv. Deshalb muss die Resozialisierung die Regel sein und bleiben. Die Ausnahme darf nicht im Tod liegen.