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Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Jesus Handbuch

Jens Schröter
Christine Jacobi (Hrsg.),
Jesus Handbuch

Verlag Mohr Siebeck
Tübingen 2017
685 Seiten 49.- €

 

 

Zusammenfassung:

Ein überaus praktisches Handbuch in bester wissenschaftlicher Tradition, mit großem Apparat, klarer Struktur und der Möglichkeit für jeden Leser, problemfokussiert über die eigene Fragestellung Zugang zu einzelnen Themen zu bekommen. Die angelsächsische Zitationsweise erleichtert den Lesefluss, erspart im Einzelfall aber nicht das Wiederaufsuchen im Fließtext. Großes Lob verdient das Register mit seinen diversen Möglichkeiten. Ein Handbuch wie man es sich nur wünschen kann. Ein großer Wurf!

 

Jens Schröter, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie die neutestamentlichen Apokryphen, Theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte der kanonischen und außerkanonischen Jesusüberlieferung. Methodische Bezüge zur Geschichtstheorie (Johannes Fried, Paul Ricœur), für das Neue Testament nimmt er einen Kernbestand und unscharfe Ränder an. Kanon sind hier die vier EV und die Paulusbriefe. Am Rand ordnet er u.a. die Offenbarung des Johannes und den Hebräerbrief ein.

Christine Jacobi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie der neuapostolischen Apokryphen, theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin.

Das sehr ausführlich gegliederte Inhaltsverzeichnis weist sechs eigenständige Teile aus, unter Einschluss einer Synchronopse der jeweiligen Bereiche in der Einleitung. Jeder nachfolgende Abschnitt beginnt mit einer eigens konzipierten Einleitung, was hilft auf einen übersichtlichen Stand der Forschung zu kommen und die Anknüpfungspunkte für die nachfolgenden Beiträge zuordnen zu können. Die Übersicht zu den einzelnen Abschnitten:

  • Einleitung (generell)
  • Geschichte der historisch-kritischen Jesusforschung
  • Das historische Material
  • Leben und Wirken Jesu
  • Frühe Spuren von Wirkungen und Rezeptionen Jesu
  • Apparat: Autorinnen / Autoren, Literatur, Register gegliedert nach Stellen (antik, regional) Personen (auch mythologische), Sachen

Zentraler methodologischer Schnittpunkt der AutorenInnen ist die historisch-kritische Erforschung des NT unter besonderer Berücksichtigung der Hermeneutik. Das Spezifikum dieses Handbuchs liegt in seinem Forschungsgegenstand begründet: Jesus als Autor hat keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen, anders als Paulus, Augustinus, Martin Luther etc. Stattdessen steht Jesus von Nazareth als Religionsstifter im Mittelpunkt. In Teil B. wird dazu für Weg, Wirkung und Bedeutung Jesu Christi den hermeneutischen wie auch den methodischen Implikationen nachgegangen. Dieses Vorgehen reflektiert auf die geschichtsmethodologischen Parameter für die aktuelle Jesusforschung, womit der Zugang zum Verhältnis von Geschichte und Glaube im Rahmen neuzeitlich-kritischer Theologie untersucht wird. In dieser Weise werden auch die Materialien bearbeitet und verstanden (Teil C.). Im Rezeptionsteil (E.) steht die antike Wirkungsgeschichte (basierend auf dem Ostererlebnis) im Mittelpunkt, während Teil D. besonders den kontextgebundenen Schriftüberlieferungen Raum eröffnet. Zur Abgrenzung anderer Werke zur Gestalt Jesu sei etwa auf die Trilogie Jesu von Joseph Ratzinger hingewiesen. Dieses Werk müht sich nicht mit der historisch-kritischen Methode ab (siehe: Jesus von Nazareth – Prolog. Abschnitt zur Jungfrauengeburt), die im Handbuch selbst durchaus nicht zu einer eigenständig (anders lautenden) Analyse zur Jungfrauengeburt führt (vgl. 215f.) Wohl aber über – für die Wissenschaft wichtig – den historisch-kritischen Forschungsansatz dazu. Im Gegensatz dazu relativiert die Ratzinger-Schrift den kritischen Forschungsansatz über den vierfachen Schriftsinn und die Inspirationslehre.

Methodologisch exemplarisch ist die (immer noch strittige) Frage, ob die Doppelperspektive auf die Person Jesu aus der konstitutiven Verbindung mit dem Glaubensbekenntnis zu deuten ist oder davon abweichend aus der rein historischen Sichtweise. „Es geht vielmehr darum, ob das Christusbekenntnis zur Deutung des Wirkens des irdischen Jesus überhaupt herangezogen und die dadurch entstehende Dynamik von göttlichem und menschlichem Wesen Jesu Christi reflektiert oder aber die Bedeutung Jesu auf sein irdisches Wesen beschränkt wird.“ Die Quellenlage dazu ist vielschichtig, uneindeutig und von Missverständnissen geprägt. Der nahöstliche Blick, den das JohEv nahelegt, darf nicht unbesehen bleiben, gerade wenn Jesus in einschlägigen Zeugnissen als „Beelzebub“ (Mk 3,22) bezeichnet, seine göttliche Herkunft geleugnet, weil er ja aus Galiläa komme (Joh. 7,14) oder sein Kreuzestod als Gegenbeweis zu seiner Göttlichkeit angeführt wird. Es bedarf mithin eines speziellen Erkenntnisprozesses, den irdischen Jesus vom auferweckten, göttlichen Christus zu scheiden. Die Emmausbegegnung (Lk 24,13ff.) mit den Jüngern führt den vorösterlichen Glauben weiter in einen Glauben an die Auferstehung und damit die Erhöhung Jesus aus dem Irdischen ins Himmelreich. Die biblischen Stellen (Hebr 1,2; Joh 1,1; Kol 1,15 od. Phil 2,6) heben den metaphysisch-geistlichen Prozess hervor, der ein Anteilhaben an beiden Sphären inkludiert.

Die Auseinandersetzung um den historischen oder kerygmatischen Jesus hat ganze Generationen der Forschergemeinde seit der Neuzeit beschäftigt (G.E. Lessing, H.S. Reimarus oder D.F. Strauß). Die Dichotomie der Ansätze blieb bestehen. Mit der „dritten Frage nach Jesus“ wurde in den 1970ern die historische Perspektive erweitert. Konsolidierte Grundposition bildete die Überzeugung von der Priorität des MkEv in Verbindung mit einer zweiten „Quelle“. Das JohEv entfällt unter der erweiterten Sicht als Grundlagentext. Dieser Forschungsansatz, der ein interdisziplinäres, trans-geografisches und methodenpluralistisches Vorgehen für sich reklamieren kann, indem er zur historisch-kritischen Literaturanalyse Erkenntnisse aus der Archäologie, Sozialgeschichte, Kulturanthropologie, Orientalistik und Judaistik hinzuzieht, hat die systematischen Forschungsansätze stark erweitert. Hierzu wurden auch die Apokryphen vermehrt in den Blick genommen. Ed Parish Sanders hat dazu mit „The Historical Figure of Jesus“ bedeutende Werkleistungen vorgelegt. Auch in sozialgeschichtlicher Hinsicht konnte der Forschungsansatz geweitet werden. Luise Schottroff und Wolfgang Stegemann (Jesus von Nazareth – Hoffnung der Armen, 1990) konnten den soziologischen Prozess des jesuanischen Armutsideals in den frühen Gemeinden, die auch schon eine Mittelschicht kannten, nachweisen und als Forderung für eine christliche Gütergemeinschaft festmachen.

Die geschichtshermeneutische Ausbeute in der im Handbuch zugrunde gelegten Form beschäftigt sich auch mit dem „erinnerten Jesus“ bzw. der „Jesuserinnerung“. Die damit verknüpfte Frage lautet: Wie entsteht erinnerte Vergangenheit? Welche Kriterien lassen sich anwenden, um zu einem Erkenntnisfortschritt zu kommen? In jedem Fall wird dabei das poppersche Falsifikationstheorem gelten: Erkenntnisse (Ergebnisse) stehen immer unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit. Man muss immer neu zu einer Revision der Fakten oder Methodengrundlage in der Lage sein. Daraus ergibt sich für die Kontextualität eine Komplementarität von kritischer Auswertung und angemessener Interpretation. Hierin liegt für die „Jesuserinnerung“ eine besondere Herausforderung. Es stehen die Überreste der Vergangenheit mit einem ‚Vetorecht‘ (R. Koselleck) gegen interpretatorische ‚Verlebedingung‘ der Quellen durch die Historiker (et al). „Geschichte (…)“, so die Herausgeber, „ist nicht einfach identisch mit Vergangenheit, sondern entsteht durch den deutenden Zugriff auf das historische Material aus der Perspektive der jeweiligen Gegenwart.“ Den Rahmen dazu setzen das Erkenntnisinteresse der Gegenwart wie die Verantwortung der Quelle gegenüber als zeithistorisches Dokument, das ebenso kontextgebunden war wie unser Interesse heute. In der Konsequenz müssen deshalb auch unsere Interpretationen selbst einem hermeneutischen Prozess unterzogen werden. In dieser doppelten Annäherungsweise wird die „Jesuserinnerung“ auch der Rezeptionsgeschichte der Person Jesu konsistenter entsprechen können. Die doppelte Texthermeneutik der Evangelien (historische Information und Überlieferung) verbinden den „historischen Jesus“ gleichermaßen wie seine Wirkungsgeschichte, „da sie die Interpretation seines Wirkens auf der Basis des Osterglaubens voraussetzen und ihre Jesusbilder auf dieser Grundlage entwerfen.“ Diese in die Synchronopse eingeschlossene Selbstbezüglichkeit beeinflusst die doppelte Texthermeneutik über deren grundlegende Sinnidee (Ostern).

Exemplarisch für den Teil D. sei das Thema „Frauen im Umfeld Jesu“ herausgegriffen. Als relativ junger Thread stark besetzt durch die feministische Theologie des 20. Jh.s beginnt diese Forschungsrichtung mit der Perspektive der Darstellung von Frauen im NT, die fast ausschließlich aus männlicher Feder stammen: die Beschränkung auf den Zwölferkreis, die androzentrische Sprechweise oder auch die Beschreibung der Verhaltensweisen von Frauen. Zumeist werden Frauen als Mitglieder der Familie Jesu beschrieben, sie folgen ihm nach, werden seine Schülerinnen, Empfängerinnen seiner Botschaften. Allerdings tauchen auch pagane Frauen auf (die Syrophönizierin oder die ungenannte Frau im Haus des Simon in Bethanien in der Salbungsszene). Im Rahmen der Passionserzählung tritt eine Dreiergruppe hervor: Maria aus Magdala, Maria (des Jakobus des Kleinen und Joses) sowie Salome. „Die Dreiergruppe entspricht figurenkompositorisch der Gruppe der drei bevorzugten Jünger (Mk 5, 37; 9,2; 14,33),“ stellt Christiane Zimmermann in ihrem Beitrag fest. Sie schließt an: „Die drei Frauen sind schließlich die ersten Empfängerinnen der Auferstehungsbotschaft (…) Im sekundären Schluss des Evangeliums erscheint Jesus zuallererst Maria aus Magdala, die den Jüngern von ihrer Vision berichtet, dann erst zeigt sich Jesus den Jüngern (Mk 16,9-20). Der Text verweist auf die besondere Rolle der Maria aus Magdala in einem Teil der Jesusüberlieferung, die auch das JohEv und die Evangelien nach Maria und Philippus beschreiben.“ Der Auftrag zur Verkündigung kommt direkt von Jeus. Doch im Unterschied zu den Jüngern befallen die beiden Frauen keine Zweifel, sie zeigen sich vielmehr als „vorbildlich Glaubende, erste Auferstehungszeuginnen und Auftragsempfängerinnen.“ Es finden sich in den Evangelien noch viele Zeugnisse über (manchmal stigmatisierte) Frauengestalten. Hervorgehoben bleibt Maria Magdalena. Caravaggio hat davon in seinem unnachahmlichen Chiraroscuro das Bild „Die Heiligen Martha und Magdalena“ gemalt, das dem Herrn sicher wohlgefällig gewesen wäre, schließlich ermahnte er Martha, Maria Magdalena habe das gute Teil erwählt, es solle nicht von ihr genommen werden (Lk 10, 42). Die besondere Hervorhebung der Frauen bei Lk setzt sich später in der Apostelgesichte fort. Maria aus Magdala ist sicher die herausragendste Vertreterin als Nachfolgerin Jesu. Sie wird längst als „Apostolin der Apostel“ bezeichnet. Doch leider bleibt den Frauen bis heute (sic!) der Priesterstand verwehrt, mit allen (negativen) Konsequenzen, die wir beklagen. Eine Päpstin – nicht nur als Literaturvorlage, das wäre mal eine Reform der katholischen Kirche! Die Evangelien stehen dem nicht entgegen.

Fazit: Das Jesus Handbuch bietet beste wissenschaftliche Handwerkskunst nach aktuellem Forschungsstand. Die Einzelbeiträge vertiefen den jeweiligen Themenkomplex und sind über weiterführende Spezialliteratur gut ergänzt. Apparat und Zugang sind sowohl in praktischer als auch organisatorischer Hinsicht exzellent. Ein Standardwerk der Jesus Forschung, dessen hermeneutisches Profil über die Bibelwissenschaft hinaus in erweiterte Fachbereiche anschlussfähig ist.

Ingo-Maria Langen, Juni 2020