2
frontpage-slide1
Via Conci
1
Leipziger-Buchmesse-2019 (3)

Straffers Nacht

Der Schrecken – er ist überwunden, endlich! Die neue bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft, sie beschäftigt sich mit sich selbst. Spießbürgerliche Enge, spartanische Wohnverhältnisse, spärliches Einkommen und große Wünsche, Konsum und Wachstum zu erreichen sind bundesbürgerliche Ziele. Bald liegt nur noch ein blasser Hauch der Erinnerung einer Zeit der deutschen Geschichte über dem neuen Volk, beschworen zu offiziellen Gedenktagen, deren mehliger Geschmack mit einem frischen Bier in der Kneipe schnell heruntergespült wird, bevor der Stammtisch tagt. Diese neue Gesellschaft ist bei sich selbst angekommen: zwischen Wirtschaftswunder, Italienurlaub und eigener Waschmaschine. Die neue Moral lautet Wohlstand, Karriere, Leistungsgesellschaft, nationaler Wiederaufstieg.

Straffers Nacht Weiterlesen

Mit Dolchen sprechen

Sprechen wir über die Gestaltungskraft, ja Gestaltungsmacht des Menschen, sprechen wir über Emotionen. Ihre bekanntesten Ausdrücke der Gesichtsmimik sind: Freude, Überraschung, Angst, Wut, Ekel, Trauer, Verachtung. In der Geschichte des Theaters etwa im alten Griechenland oder in Japan bediente man sich für die rollenspezifischen Ausdrücke einer Figur oft der Maske. Im japanischen No- oder Kabuki sollten so die stilistischen Mittel der Farce oder der brutalen kriegerischen Auseinandersetzung besonders hervorgehoben werden. Die Basisgefühle zeichneten den Charakter der Maske und damit die Rolle des Schauspielers. Erstaunlich ist, dass die moderne Forschung Physiologie und Mimik in der Zusammenschau ähnlich beschreibt wie sie uns in den Masken von vor über tausend Jahren bereits begegnen.

Mit Dolchen sprechen Weiterlesen

Mittsommertage

Es ist drückend heiß, die Vorausschau nicht weniger. – Ruth Lember, Professorin für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin lebt in gut bürgerlichen Verhältnissen. Verheiratet mit Ben, einem erfolgreichen Architekten, teilen sie ihr Haus mit Jenny, der Tochter von Ben. Gerade flügge geworden, studiert sie in Leipzig, rechnet sich der „Letzten Generation“ zu. Dieses unscheinbare soziologische Setting könnte ebenso die Folie für ein Kammerspiel als auch ein Boulevardstück geben. Ein geschicktes Framing der Protagonisten bricht diese Erwartungshaltung jedoch.

Mittsommertage Weiterlesen

Dante, Homer und die Köchin

Eine aristophanische Komposition: geistvoll, witzig, mit beißendem Spott. So legt Wondratschek das Zusammentreffen zwischen Dante, Homer und einer Köchin, durchaus als Reflexionsfigur gezeichnet, an. Zwei Titanen der weltgeschichtlichen Literaturhistorie treffen im Hier und Heute aufeinander – der verführerische Gedanke, ihre Sichtweise auf diese Welt auszubreiten, Wondratschek widersteht. Uns begegnen zwei sonderliche Alte, die sich gegenseitig nicht ganz ernst nehmen, einander frotzeln, und doch nachdenkliche Einsprengsel aus ihrem Dasein dem Leser entfalten.

Dante, Homer und die Köchin Weiterlesen

Demokratie braucht Religion

In einem zunehmend komplexen Weltgeschehen scheint wenig Raum für Ruhe, Reflexion, Stillstand. Die Achtsamkeitsindustrie boomt, Kurse zur Stressbewältigung und Selbstwirksamkeit sind ausgebucht. Indikatoren, die anzeigen, die Gesellschaft ist einer permanenten Überforderung ausgesetzt. Im Hamsterrad vermeintlicher Entwicklungen müssen alle wachsen – oder weichen. Welche Vorstellungen liegen diesem Denkmodell zugrunde?

Demokratie braucht Religion Weiterlesen

Jahreszeit der Steine

„Mein Schlaf ist ein scheues Wesen. Er duckt sich weg. Versteckt sich vor mir.“ Erste Sätze sind eine Herausforderung. Sie müssen den Leser unmittelbar an sich binden, eine Spur legen, Interesse wecken. Schlafstörungen sind ein weites Feld und vielen ein vertrauter Begleiter, ein oft gehasster dazu. Hier wird eine geschickte Klammer vorbereitet: der Ich-Erzähler, Vater dreier Kinder, Malik, Fritzi und Alma, verheiratet mit Levje, beschließt darin einen gesamten Tag, der zwischen familiärem Leben, beruflichen Aufgaben und (Selbst)Reflexion pendelt. Die Klammer finalisiert mit der (unausgesprochenen) Intention, der Versöhnung mit den Geschehnissen des Tages an dessen Ende einen kleinen Raum zu geben, im Glauben an ein gutes Morgen.

Jahreszeit der Steine Weiterlesen